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Handelsfreiheit über allem?

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Am Montag empfing Staatsminister Bettel die stellvertretende Staatssekretärin für Europa der US-Regierung, Victoria Nuland (bekannt durch ihr herzhaft vorgetragenes „Fuck the EU“), zu einem Gespräch, bei dem die obligaten Höflichkeiten ausgetauscht und die „hervorragenden bilateralen Beziehungen“ unterstrichen wurden: so jedenfalls das im Anschluss an das Gespräch verbreitete Pressekommuniqué.

Dieses beinhaltete außerdem den positiv formulierten Abschnitt „Les deux interlocuteurs ont aussi abordé les opportunités qu’offrirait le Partenariat transatlantique de commerce et d’investissement (TTIP) pour les deux plus grandes économies du monde, notamment aussi les petites et moyennes entreprises“.

Robert Schneider

TTIP also als Chance für die kleinen und mittleren Unternehmen …

Diese Bettel’sche Betrachtungsweise (laut Pressedienst der Regierung) des sogenannten Freihandelsabkommens, das zurzeit hinter verschlossenen Türen verhandelt wird, wird allerdings längst nicht von allen Europäern und nicht von allen Luxemburgern geteilt. Selbst in den USA formiert sich (besonders in Gewerkschaftskreisen) Widerstand gegen das TTIP.

Nachdem in Luxemburg eine breite außerparlamentarische Front bereits vergangene Woche während einer Pressekonferenz ihren Widerstand gegen die Geheimverhandlungen publik machte, wäre wohl zumindest ein Funke transatlantisch geäußerter Skepsis vom blau-rot-grünen Premier angebracht gewesen, zumal der Widerstand auch seitens der Landwirte (also kleinen und mittleren Unternehmen …) klar formuliert wurde.

Die „Opportunitäten für die Wirtschaft“ könnten dem liberalen Bettel sauer aufstoßen, wenn die von der Plattform der Gegner formulierten Befürchtungen ausgehandelte Realität werden.

Entschädigung für nicht verdientes Geld

Neben der Tatsache, dass bei den von der EU-Kommission gesteuerten Verhandlungen nicht klar ist, wie weit das Mandat der verhandelnden Delegation reicht, ist offensichtlich, dass das Ziel eine Stärkung der Kräfte des Marktes und somit eine Schwächung der öffentlichen Akteure sein wird. Besonders deutlich wird dies bei der sogenannten Schiedsstelle, die einen Investitionsschutz garantieren soll; dies abseits aller öffentlichen Gerichte und ohne Rekursmöglichkeit. Firmen, die sich in ihrer wirtschaftlichen Aktivität durch bestimmte Regeln oder Gesetze gehemmt sehen, könnten ihre vermeintlichen Rechte hier einklagen: Nationale oder europäische Normen und Gesetze könnten so – an den Parlamenten vorbei – ausgehebelt werden.

Kein Wunder also, dass sich neben Gewerkschaften (die einen Verlust von sozialen Standards befürchten), Umweltorganisationen (die auf Gentechnik in der Landwirtschaft, bislang nicht erlaubte Zusatzstoffe in Lebensmitteln und Kosmetik und auf die unappetitlichen Chlor-Hühner verweisen) und Landwirten (die europäische Qualitätsnormen und US-amerikanische Bestrebungen nach Produktionsmaximierung für unvereinbar halten) auch die Verbraucherschutzorganisation ULC gegen das Abkommen bzw. für einen sofortigen Stopp der Verhandlungen starkmacht. Der Konsumentenschutz warnt, wie „Mouvement écologique“ und Greenpeace, wie Caritas, „Cercle de coopération des ONG de développement“, ASTM, wie OGBL, LCGB, FNCTTFEL, Syprolux und Aleba und wie die „Jongbaueren a Jongwënzer“ vor TTIP und den damit verbundenen Risiken.

Die Parteien, die zwei Wochen vor der Wahl zum Europaparlament fast alle einen vorsichtigen, teils sogar wohlwollenden Kurs gegenüber den Verhandlungen fahren, werden sich Anfang Juni im Parlament klarer äußern müssen: Dann findet eine Interpellation zum Thema statt.

Robert Schneider