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Grüne Widersprüche

Grüne Widersprüche
(Isabella Finzi)

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Die Nachricht diese Woche vom Rücktritt einer Abgeordneten von "déi gréng", Christiane Wickler, überraschte wohl einige politische Beobachter.

Ihre offizielle Erklärung für diesen Schritt erscheint auf den ersten Blick vollkommen logisch. Es sei ihr schwergefallen, Familie, Politik und Beruf unter einen Hut zu bringen. Sie habe die Belastung, die ein Leben als Berufspolitiker mit sich bringe, unterschätzt.

cmolinaro@tageblatt.lu

Interessant ist der Zeitpunkt, zu dem der Rücktritt stattfindet. Könnte es sein, dass es in der grünen Partei heftig rumort und dieser Rücktritt nur ein sichtbares Zeichen immer größer werdenden Unmuts der Parteibasis ist? Gründe dafür gäbe es einige. Solange man in der Opposition ist, kann man fordern und kritisieren, dass es nur so kracht. Dann ist man plötzlich in der Regierung und mit der Realpolitik konfrontiert. In der bisher kurzen Regierungszeit mussten die Grünen schon einige saftige Kröten schlucken. Ironie der Geschichte war, dass ausgerechnet ein grüner Spitzenpolitiker – Camille Gira – der Bevölkerung erklären musste, warum die Teerfabrik „op Monkeler“ bei Esch/Alzette gebaut werden darf. Den Anbau genmodifizierter Pflanzen in der EU zu verhindern ist seit Jahren das Steckenpferd aller Umweltorganisationen. Ironie der Geschichte war es dann auch, dass ausgerechnet nun eine grüne Umweltministerin, Carole Dieschbourg, sich bei der Abstimmung über die Zulassung solcher Organismen in der EU enthalten musste. Um zukünftige Verhandlungen nicht zu blockieren, heißt es offiziell.
Die Kirsche auf dem Kuchen dürfte wohl die von (fast) allen Seiten umjubelte Tram sein. Da zuerst nur die Strecke zwischen dem Bahnhof und dem Kirchberg realisiert wird, werden die Wartungshallen in einer Natura-2000-Zone gebaut. Da lacht doch jedem grünen Kritiker das Herz. Willkommen in der Realpolitik.

Während dies alles nur reine Spekulation ist, wiegt die offizielle Argumentation von Frau Wickler deshalb umso schwerer. Es ist ja in der Tat nicht von der Hand zu weisen, dass niemand – auch keine energische Geschäftsfrau wie Frau Wickler – alles kann. Falls die Gründe, die Frau Wickler angibt, die wahren sind, drängen sich einige Fragen auf. Hat die Frau, die außerdem noch Direktorin des Pall Center ist, gedacht, sie könne die parlamentarische Arbeit mal eben so nebenbei erledigen? Offensichtlich hat sie es. Und das ist gelinde gesagt Beschiss am Wähler. Ganz nach dem Motto: Ich hab noch zwei Abende in der Woche frei, da wird sich auch noch etwas finden.

Vollzeitpolitiker

Der Wähler darf wohl erwarten, dass die Person, die er ins Parlament wählt, seine Ideen dort mit dem Engagement vertritt, das die Aufgabe verlangt. Die Erklärung von Frau Wickler offenbart eine Attitüde, die heutzutage wohl Mode geworden ist: Parlamentarier sein ist schön, da hat man ausgesorgt. Mag sein. Die Entschädigungen sind ja auch so ordentlich, dass man nicht am Hungertuch zu nagen braucht. Dass Abgeordneter sein auch mit Arbeit verbunden ist, hat die Frau übersehen.
Politik ist eine Vollzeitbeschäftigung. Staatsbeamte werden sofort in Rente versetzt, wenn sie ins Parlament gewählt wurden, und können sich so ganz auf ihre politische Arbeit konzentrieren. Außer ihnen sitzen fast nur Vertreter von liberalen Berufen im Parlament: Ärzte und Anwälte. Andere können es sich nicht leisten, ihren Beruf für vier Jahre aufzugeben, die wenigsten wagen den Schritt. Die Debatte um Vollzeitpolitiker dürfte damit wohl wieder Nahrung erhalten. Man wolle Vollzeitpolitiker im Parlament vermeiden, heißt es oft, weil Parlamentarier sonst keinen Bezug zum reellen Leben hätten. So einfach scheint das aber nicht zu sein.