Der überzeugte „homme de gauche“ hatte recht, denn durch die Empörung werden bestehende Missstände thematisiert und nur durch Hinterfragen und deutliche Kritik kann der Weg für gesellschaftliche und soziale Verbesserungen geebnet werden.
Michelle Cloos mcloos@tageblatt.lu
Gründe zur „hesselschen Indignation“ gibt es jedenfalls noch immer sehr viele. Vergangene Woche veröffentlichte die französische Tageszeitung Le Monde erste Resultate einer Umfrage, in der die 18- bis 25-Jährigen im Hexagon ein düsteres Selbstporträt ihrer Generation zeichnen. Sie charakterisieren ihre Generation vor allem mit Wörtern wie „sacrifiée“, „perdue“, „désenchantée“ oder „galère“. Nur 25% der jungen Franzosen glauben, dass sie ein besseres Leben führen werden als ihre Eltern, während 45% denken, dass es schlechter sein wird. 43% sind der Meinung, dass das Leben ihrer eigenen Kinder noch schlechter sein wird. Zudem wird die Idee der Meritokratie durch die Umfrage stark erschüttert. 70% der Befragten bemängeln, dass die Gesellschaft ihnen nicht die Möglichkeit gibt, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Diese ernüchternden Aussagen sollten die Politik und die Gesellschaft insgesamt aufhorchen lassen. Denn das Gefühl der Perspektivlosigkeit und des konstanten sozialen Downgradings besorgt nicht nur die jungen Menschen in Frankreich, es ist in ganz Europa mehr oder weniger stark ausgeprägt.
Dabei sollte die Jugend als die Zukunft einer Gesellschaft gewertet werden und nicht der Desillusion überlassen werden. Dass Gesellschaften, die ihre Jugend fallen lassen, politische und soziale Pulverfässer sind, ist eine Evidenz.
Auch in Deutschland gibt es reichlich Grund zum Empörtsein. Das Land ist nämlich Europameister in Sachen Ungleichheit. Nirgendwo sonst im Euroraum ist die Kluft zwischen Arm und Reich so groß wie in Deutschland. Das ist das Ergebnis einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die die Verteilung der Reichtümer unter die Lupe genommen hat. Ganz zu schweigen von der Welle der Empörung, die die desaströse soziale Situation in Griechenland europaweit hervorrufen müsste. Doch das Elend der Hellenen gerät immer stärker in Vergessenheit.
Die Reallöhne sinken
Missstände findet man aber nicht nur auf der anderen Seite der Grenze, sondern ebenfalls im Großherzogtum, auch wenn wir in zahlreichen Punkten besser abschneiden als die übrigen EU-Länder. So sind die Reallöhne in Luxemburg 2011 und 2012 um 1,7 Prozent gesunken, was eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Arbeitnehmer bedeutet. Für junge Leute ist Luxemburg auch nicht unbedingt ein CDI-Paradies. Wie eine rezente Studie von CEPS/Instead zeigt, haben 46% der unter 25-Jährigen einen zeitlich befristeten Arbeitsvertrag erhalten, während nur 42% einen CDI bekamen.
An Möglichkeiten und sogar Notwendigkeiten zu Verbesserungen, für mehr Gleichheit und Gerechtigkeit, fehlt es demnach nicht. Allerdings hängt es vom politischen und vom gesellschaftlichen Willen ab, welcher Weg künftig eingeschlagen wird.
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