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«Gemäßigte» Obskurantisten

«Gemäßigte» Obskurantisten
(AFP)

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Die Entwicklung des postrevolutionären Libyen hat in letzter Zeit zu mancher Sorge Anlass gegeben. Der Umstand, dass das Land im Gefolge des Umsturzes mit Waffen geradezu überschwemmt wurde, ist für den Aufbau eines Rechtsstaates ein äußerst schlechtes Omen.

In Teilen des Landes hat der Zentralstaat kaum etwas zu melden, die Macht liegt bei tribalen Milizen, deren Auftritt sich oft nur unwesentlich von dem einer gewöhnlichen Räuberbande unterscheidet.

Francis Wagner fwagner@tageblatt.lu

Umso mehr ist es zu begrüßen, dass der Übergangsrat am Donnerstag wie geplant die Macht an die 200 Personen starke Nationalversammlung übergeben hat. Es ist das erste Mal seit über 40 Jahren, dass in Libyen die Macht auf friedliche Weise gewechselt hat. Wenn nun auch noch die Bildung einer Regierung nach Plan verlaufen sollte, hätte Libyen auf dem Weg zu einer demokratischen Zukunft des Landes eine fundamentale und notwendige Etappe bewältigt. Die aber leider keine hinreichende ist. Denn die wirtschaftlichen Probleme Libyens, für deren Lösung offensichtlich niemand eine Patentlösung parat hat, sind enorm. Unter diesen Voraussetzungen lässt sich die Stabilisierung einer jungen Demokratie natürlich nicht zum Allerbesten an.

Eine Menge Frustrierter

Umso mehr, da es in Libyen ja nun nicht an Elementen mangelt, die an einer Demokratie nach westlichem Muster herzlich wenig Interesse haben.

Eine solche „Revolution“ hinterlässt ja meist auch eine Menge Frustrierter: Da wären einmal jene, die unter dem Ancien régime ganz komfortabel lebten und durch den Umsturz ihre Lebensgrundlage verloren haben. Ferner eine Armee von Underdogs, die gehofft hatten, dass sie durch den Anbruch der neuen Zeiten endlich auch einen Platz an den Futtertrögen erhalten würden, nur um anschließend feststellen zu müssen, dass sie einmal mehr außen vor geblieben sind.

Zudem weiß niemand, wie sich die Islamisten langfristig verhalten werden: Sind sie wirklich bereit, die demokratischen Institutionen und die bürgerlichen Freiheiten auch auf lange Sicht zu respektieren, oder haben sie einfach bloß Kreide gefressen, mit der Absicht, die Demokratie systematisch und beharrlich auszuhöhlen, bis nur noch eine wertlose Hülle übrig bleibt?

Es ist nun einmal so, dass man Menschen, die der Überzeugung sind, dass das göttliche Recht über dem menschlichen steht, nie über den Weg trauen soll, wenn es um den Aufbau, die Verteidigung und die Erhaltung demokratischer Werte geht. Wer der Ansicht ist, dass Gott über allen Parlamenten thront, hat notwendigerweise ein gestörtes Verhältnis zum demokratischen Parlamentarismus.

Gestern (Freitag) hat das libysche Parlament einen Islamisten zum Übergangspräsidenten gewählt. Einen „gemäßigten“, wie es so schön heißt. Die Erfahrung zeigt indes, dass ein „gemäßigt“ religiöser Politiker oft nichts anderes ist als ein radikaler Obskurantist, der aus rein taktischen Gründen Kreide gefressen hat.

Das gilt für alle Religionen: Man braucht nur nach Spanien zu blicken, wo die „gemäßigten“ Christdemokraten unter Rajoy nun gleich bei der erstbesten Gelegenheit das von den Sozialisten eingeführte Recht auf Abtreibung wieder abschaffen wollen.