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Gar nicht mal so dumm

Gar nicht mal so dumm
(Tageblatt/Alain Rischard)

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Brexit, Ungarn, Farc: Die Referenden sind wieder in aller Munde. Die oft dramatischen Konsequenzen der Volksentscheide sind offensichtlich. Segen oder Fluch? Die Debatte.

Wer Referenden ablehnt, misstraut seinen Wählern. Klingt übertrieben, bringt die Sache dennoch auf den Punkt. Allzu oft werden unter Hinweis auf komplexe Sachverhältnisse Entscheidungen hinter verschlossenen Türen getroffen. Das Volk, das tumbe, versteht nichts, missbraucht Volksbefragungen, um eine andere als die gestellte Frage zu beantworten, heißt es dann.

Die Anhänger von derlei Erklärungsmuster verschweigen dabei tunlichst, dass in Ermangelung einer öffentlichen Kontrolle andere partikulare Interessen durchgedrückt werden können. Wenn an einem Verhandlungstisch Politiker mit einer gewissen Nähe zu mächtigen Wirtschafts- und Finanzunternehmen sitzen, wird man sie durchaus verdächtigen können, zuerst deren Interessen zu vertreten. Rezentestes Beispiel: der Wechsel von Ex-EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso zur US-Bank Goldman Sachs.

Gegengewicht zu mächtigen Lobbys

Befragungen der Bürger bzw. Wähler zu wichtigen Fragen, die ihr Leben maßgeblich beeinflussen werden, sind daher notwendig. Sie stellen eine Art Gegengewicht zu mächtigen Lobbys, die bei der Vorbereitung der politischen Beschlüsse oftmals mit am Tisch saßen oder gar die Texte vorformulierten.

Im alten Rom, zu Zeiten der Republik, stimmten große Bürgerversammlungen über Gesetzesvorschläge ab. Natürlich ging es auch dort nicht ohne Manipulation der Befürworter und Gegner der Vorlage ab, wobei meist auch mit
Bestechungsgeldern nachgeholfen wurde.

Gehört zu echter Demokratie

Aber der Umstand, dass ein Abstimmungsprozess von interessierter Seite missbraucht wird, um ihre Sicht der Dinge durchzudrücken, ändert nichts an der Tatsache, dass ein Referendum zu einer echten Demokratie gehört. Am Gesetzgeber ist es, dafür zu sorgen, dass der Abstimmungsprozess unverfälscht, ohne Manipulation ablaufen kann.

Ohne Manipulation bedeutet, das Volk sachlich über das zur Abstimmung vorliegende Thema zu informieren und das Pro und Contra offen darzulegen. Diese Übung muss auch bei komplexen Sachverhalten möglich sein. Soweit zur Rolle staatlicher Instanzen und der Regierung.

„Zurechnungsfähigkeit des Wahlvolks“

In der Pflicht sind genauso politische Parteien und andere gesellschaftliche Organisationen, die jedoch der Versuchung widerstehen müssten, die Volksbefragung für andere politische Ziele zu missbrauchen, in der Regel der Sturz der aktuellen Regierung.

Dabei ist das Volk vielleicht gar nicht so tumb, wie es oftmals dargestellt wird. Allein aus Posts in sozialen Netzwerken oder Kommentaren auf Nachrichtenseiten Rückschlüsse über die „Zurechnungsfähigkeit des Wahlvolks“ zu ziehen, ist politisch unverantwortlich.

Eine schallende Ohrfeige

Ein Hinweis darauf, dass eine Gesellschaft unterm Strich vernünftig handeln kann, lieferte uns am letzten Sonntag Ungarn. Trotz staatlich orchestrierter Gehirnwäsche dank omnipräsenter Propaganda verlor Referendumsinitiator Viktor Orban. Weniger als die Hälfe der Wahlberechtigten wollte sich an der Wahlurne äußern und verpasste dem ungarischen Regierungschef damit eine schallende Ohrfeige.