Headlines

Fortschritt vs. Hypokrisie

Fortschritt vs. Hypokrisie

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Das Parlament in Frankreich hat diese Woche den Haushalt der Sozialversicherung, der eine sehr bedeutende Neuerung enthält, mit einer überwältigenden Mehrheit gestimmt. Die Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, werden im Hexagon künftig von einer hundertprozentigen Rückerstattung der Kosten profitieren können. Diese finanzielle Entlastung soll es den Frauen ermöglichen, mit freiem Kopf ihre eigene Wahl zu treffen, ohne dass ihnen dabei unnötigerweise Steine in den Weg gelegt werden.

Das Vorhaben war zwar ein Wahlversprechen des französischen Präsidenten François Hollande, doch nicht nur die Sozialisten plädierten für die Rückerstattung. Die Debatte im Parlament war sachlich und ohne jegliche Polemik. Nur sechs männliche UMP-Abgeordnete stimmten gegen die Maßnahme. Alle anderen waren dafür. Sogar die Mehrheit der konservativen Parlamentarier hatte nichts an der Neuerung auszusetzen. Es ist natürlich kein Zufall, dass gerade Frankreich diesen Schritt nach vorne unternimmt. Bereits im Jahr 1974 hielt Simone Veil, damals Gesundheitsministerin in der Regierung von Jacques Chirac, eine historische und engagierte Rede für die Entkriminalisierung der Abtreibung vor der „Assemblée Nationale“. Seither haben die französischen Frauen
das Recht, selbst über das Kinderkriegen zu bestimmen.

„Nous sommes arrivés à un point où, en ce domaine, les pouvoirs publics ne peuvent plus éluder leurs responsabilités“, erklärte Simone Veil bereits vor fast 40 Jahren und forderte dazu auf, die Augen nicht weiter zu verschließen.
In Luxemburg hinkt die Gesetzgebung noch immer der Geschichte hinterher. Die Politik hat die Augen noch immer geschlossen und scheint unwillig, ihre Verantwortung zu übernehmen.

Selbstbestimmung

Denn die sogenannte „Reform“ des Schwangerschaftsabbruchs, die uns als „Fortschritt“ verkauft wird, aber in Wirklichkeit nicht die erhofften Verbesserungen bringt, bricht nicht mit der gesellschaftlichen Hypokrisie und erkennt weiterhin das fundamentale Recht der Frauen auf Selbstbestimmung über ihren Körper und ihr Leben nicht eindeutig an. Als zeitgemäß kann man diese „Reform“ also kaum bezeichnen. Eine Reform, die im 21. Jahrhundert nicht einmal annähernd die Ambition und den Mut aufweist, die die „loi Veil“ schon 1974 hatte, ist schlichtweg lächerlich. Das Recht auf Selbstbestimmung muss ohne Einschränkung gewährleistet werden, das wird es aber in der vorgelegten Gesetzesänderung noch immer nicht.

Auch der Staatsrat und die luxemburgische Menschenrechtskommission haben bekanntlich bereits Kritik am Gesetz geäußert, weil es die Frauen nicht als mündige Bürgerinnen ansieht, die sich für oder gegen eine Schwangerschaft entscheiden können und dürfen. Die Idee einer zweiten obligatorischen Konsultation, die den Frauen aufgezwungen werden soll, ist nicht nur sinnlos, sondern verkauft die Frauen geradezu für dumm.
Sowieso gehört der Schwangerschaftsabbruch nicht ins Strafgesetzbuch, es handelt sich vielmehr um eine Frage der allgemeinen Gesundheitspolitik, wie das rezente Votum im französischen Parlament beweist.

Das Beispiel Frankreich zeigt eindeutig, wie eine wahrhaftig progressive Gesetzgebung aussehen soll und muss, die die bestehenden Realitäten akzeptiert, den Frauen die freie Wahl lässt und deren Entscheidungen auch respektiert. Alles andere ist halbherzig, ungenügend und nicht akzeptabel.