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Europas soziale Krise

Europas soziale Krise

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In den europäischen Ländern sollte es eigentlich ein soziales Auffangnetz geben, das die Ärmsten und Schwächsten vor dem Absturz bewahrt. Eigentlich. Doch auch auf dem Kontinent des Sozialstaates sind Armut und Arbeitslosigkeit ein sehr ernstes Problem.

In Europa vergeht derzeit kaum ein Monat, in dem die Arbeitslosenzahlen keinen neuen, dramatischen Rekord erreichen. Schätzungen des europäischen Statistikamtes Eurostat zufolge waren im Februar 24,550 Millionen Menschen in Europa ohne Arbeit, davon 17,134 Millionen in den Euro-Ländern.

Michelle Cloos mcloos@tageblatt.lu

In manchen Staaten ist die Situation besonders besorgniserregend. In Spanien stieg die Arbeitslosigkeit Ende März bereits den achten Monat in Folge und erreichte ein neues Allzeithoch. Ganze 4,75 Millionen Menschen hatten keinen Job.

Während sich die europäischen Politiker seit zwei Jahren ununterbrochen mit der sogenannten Schuldenkrise auseinandersetzen und um das Vertrauen der „Märkte“ (diese dubiose Entität, deren Urteile die Politiker in Angst und Schrecken versetzen) ringen, explodierten gleichzeitig die Arbeitslosenzahlen.

Nur gab es zu diesem Thema nicht die zahlreichen EU-Gipfel und Eurozonen-Treffen, die in puncto Schuldenkrise einberufen wurden. Die Arbeitslosigkeit wurde zu Europas anderen Krise, also zu der Krise, die zu oft als zweitrangig eingestuft und vernachlässigt wurde. Dabei wachsen die Warteschlangen vor den Arbeitsämtern quasi im Tagestakt.

Das Phänomen der „working poor“

Die soziale Misere beschränkt sich jedoch nicht auf die Millionen Menschen, die keinen Job finden. Sie trifft auch immer mehr Arbeitende. Das Phänomen der „working poor“ ist nicht neu, doch es breitet sich aus, weil zeitlich befristete Verträge den klassischen CDI ersetzen. Im Jahr 2011 waren 50 Prozent sämtlicher Arbeitsverträge, die in der Europäischen Union ausgestellt wurden, „à durée déterminée“.

Hinter diesen Verträgen stecken meistens schlecht bezahlte Jobs ohne die geringste arbeitsrechtliche Absicherung. So gibt es beispielsweise in Frankreich (ein Land, in dem die Armut im EU-Vergleich noch verhältnismäßig niedrig ist) eine stetig steigende Anzahl von Menschen, die keine Miete mehr zahlen können. Demnach leben derzeit 120.000 Menschen im Hexagon auf Campingplätzen, weil sie sich keine andere Behausung leisten können. Dass Menschen keine Arbeit mehr finden und es Arbeitnehmern mit Niedriglohnjobs sogar am Elementarsten mangelt, ist schlichtweg eine Schande.

Das Bild von armen Menschen, die in „Trailerparks“ leben, kannte man bislang vor allem aus den USA und wurde mit Laisser-faire-Wirtschaften assoziiert. Doch auch der Sozialstaat in den EU-Ländern kann bereits heute versagen und lässt manche Menschen auf der Strecke. Die Zukunft sieht allerdings noch viel weniger rosig aus.

Die angeblichen „Lösungen“ gegen die Schuldenkrise verstärken nämlich die soziale Spaltung in Europa. Als „nötige Sparpolitik“ getarnte Austeritätsprogramme beschneiden die Kaufkraft der Mittelklasse. Die geplanten Arbeitsmarktreformen in Spanien und Italien, die mit den neoliberalen Schlagwörtern „Flexibilität“ und „Kompetitivität“ verteidigt werden, zerstören den Kündigungsschutz und die Absicherungen, für die die vorherigen Generationen lange gekämpft haben.

Eine wahrhaftige Lösung für die Probleme in Europa hingegen muss auch den derzeitigen sozialen Missständen Rechnung tragen und das Auffangnetz des Sozialstaates absichern und gegebenenfalls sogar verbessern.