Eine der Lieblingskritiken lautet, dass man bei einer Berlinale schon nach der Hälfte völlig am Ende sei. Viel zu viele sogenannte Problemfilme: düstere Bilder, wackelige Kameras, wenig Dialoge, schreckliche Schicksale, Schmuddelästhetik.
" class="infobox_img" />Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu
Ein bisschen recht muss man den Kritikern schon geben. Auch im diesjährigen Berlinale-Wettbewerb gab es kaum Komödiantisches, wenig Leichtes, fast nichts zum Träumen. Dafür viele tote Babys, kranke Frauen oder pädophile Priester. Viel Machtmissbrauch, Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Und vor allem viele Geschichten von gewöhnlichen Menschen, denen das Leben nicht gerade sachte mitspielt.
Das ist seit Jahren so. Spätestens seit Dieter Kosslick 2001 die Leitung der Berlinale übernommen hat, zeigt das Filmfestival in der deutschen Hauptstadt engagiertes Weltkino. Kaum Blockbuster, dafür Filme aus für Hollywood-geprägte Filmegucker eher unbekannten Regionen der Welt – aus dem Süden Chiles, aus den Bergen Guatemalas, aus einem Dorf in Albanien, aus Teheran.
Die Berlinale, sie wird zu Recht als das engagierte, das politische der europäischen Filmfestivals bezeichnet. Aber was heißt es, politisch zu sein? Was macht aus einem Festival ein engagiertes Festival?
Zu glauben, dass Filme die Welt verändern, sie besser machen können, ist illusorisch. Und auch dumm. Doch zeigt die Berlinale, dass es hin und wieder durchaus guttut, die Welt durch Filme zu betrachten und nicht immer nur durch die gehetzten, von einem Krisenherd zum anderen schaltenden Massenmedien. Denn Filme personalisieren. Sie geben Konflikten ein Gesicht, eine Stimme. Dadurch werden sie zu Identifikationsplattformen, zu Empathieträgern. Und Empathie kann in einer immer stärker abgestumpften und resignierten Gesellschaft durchaus schon als ein politisches Gefühl bezeichnet werden.
Politisch an der Berlinale ist sicher auch ihr demokratischer Charakter. Mehr als 310.000 Eintrittskarten wurden während der zehn Tage verkauft, jeder, der es durchhielt, in einer der Schlangen zu stehen, konnte Teil der Berlinale werden. Die Berlinale ist das Publikumsfestival schlechthin. Sie bleibt nicht privilegierten Fachbesuchern vorbehalten, sondern bezieht das Volk mit ein, die vielen Publikumspreise sprechen für sich.
Das größte politische Signal der diesjährigen Berlinale hat jedoch sicherlich die Jury am Samstagabend versendet, als sie Jafar Panahi, der wegen Ausreiseverbot selbst nicht in Berlin anwesend sein konnte, mit dem Goldenen Bären für seinen heimlich gedrehten Film «Taxi» auszeichnete. Der Goldene Bär wird zum Symbol für die Freiheit der Kunst, er zeichnet Mut aus, unterstützt einen Filmemacher, der in seinem Land nicht arbeiten darf.
Dass sich Panahi allerdings nur bedingt über die Auszeichnung freut, wie er der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA mitteilte, holt alle Idealisten und Enthusiasten schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Denn Panahi hätte den Film lieber beim Fadschr Film Festival in Teheran gezeigt als in Berlin. Das Leben ist jedoch kein Wunschkonzert. Zumindest nicht für jeden. Ein richtiges Happy End gibt es eben nur im Film.
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