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Eine Frage des Handels

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Ein asymmetrisches Machtverhältnis kann so peinlich sein. Rezentes Beispiel: Angela Merkels Rechtfertigung des US-Überwachungsprogramms Prism.

Sie hat das heftig kritisierte NSA-Geheimdienst-Spionageprogramm während Barack Obamas Visite in Berlin verteidigt: „Das Internet ist für uns alle Neuland.“ Merkels Aussage ist prompt zur Steilvorlage für Witz und Spott geworden. Die Kanzlerin von „Neuschland“ erntet digitale Ohrfeigen für das Schönreden einer jahrelangen Überwachung durch einen ausländischen Geheimdienst. Zu Recht. Aber hatte jemand ernsthaft damit gerechnet, dass sie den US-Präsidenten in aller Öffentlichkeit brüskieren würde?
Ihr Verhalten zeigt ein ums andere Mal, dass die Vereinigten Staaten eine für die Europäer unantastbare Ordnungsmacht sind. Obamas Rede vor dem Brandenburger Tor hat dies verdeutlicht. Obschon ein „Ich bin ein Berliner“ oder „Reißen Sie diese Mauer nieder“ ausblieb, hat das amerikanische Staatsoberhaupt eine klare Linie vorgegeben. Selbstgefälligkeit entspreche nicht dem Charakter großer Nationen. Die Übersetzung liest sich wie folgt: Deutschland und Europa können sich zu Friedenszeiten nicht vor ihrer Verantwortung drücken. Es reiche nicht aus, sich an Geschichte zu erinnern. Man müsse sie auch schreiben. Angesichts der in der Diskussion stehenden Freihandelszone zwischen den USA und der Europäischen Union setzt die amerikanische Führung deshalb auf neue Impulse aus der EU. Obama betonte dies während einer Passage seiner mehrteiligen „Frieden für Gerechtigkeit“-Rede.

Dhiraj Sabharwal dsabharwal@tageblatt.lu

Marshall-Plan 2.0

Handel und Investitionen, die Wachstum über den Atlantik anregten, seien zentral. „Amerika steht Europa bei, während ihr eure Union festigt“, so der US-Präsident. Ähnlich wie zu Zeiten des Marshall-Plans ist das finanziell angeschlagene Amerika an einer Genesung Europas interessiert. Das Austeritäts-Dogma hat in Europa den wirtschaftlichen Aufschwung bislang abgewürgt. Die USA fürchten sich daher vor dem Verlust wichtiger Absatzmärkte.
Das wirtschaftliche Erstarken der europäischen Handelspartner ist das Schlüsselelement, das dem amerikanischen Export zugutekäme. Das Weltgeschehen hat sich jedoch seit dem Ende des Kalten Krieges in eine multipolare Ordnung eingebettet. Obama hat wiederholt darauf hingewiesen, dass er sich auch asiatischen Märkten widmen wolle. Zufall, dass die Europäische Union in Obamas Rede nur ein einziges Mal zitiert wird?
Das Prinzip der amerikanischen Exportpolitik hat Obama wenig später in seiner Rede auf den Punkt gebracht. Man dürfe nicht nur auf wirtschaftliche Entwicklungshilfe, sondern auf langfristige Handelsbeziehungen setzen. So hilft man Staaten in Not und, ganz nebenbei, auch sich selbst: „Denn wenn sie Erfolg haben, werden wir ebenfalls erfolgreicher sein.“ Für die Europäer bedeutet dies, dass sie nur so lange – oder erst wieder – für die USA von Interesse sind, wenn die Union mit ihrer Finanzkraft glänzt.
Dies bedeutet wiederum, dass die derzeit praktizierte „Spar“-Politik mit ihren fatalen Konsequenzen (Arbeitslosigkeit, sinkende Kaufkraft, stotternder Wirtschaftsmotor) eigentlich den amerikanischen Interessen widerspricht. Dabei berufen sich doch die Brüsseler EU-Kommissionsspitzen und der Internationale Währungsfonds nur allzu gerne auf neoliberale Dogmen amerikanischer Prägung? Es sind solche Paradoxe konservativer Kreise, mit denen der US-Präsident zu ringen hat. Denn eines hat die Rede von Barack Obama gezeigt: Der junge Hoffnungsträger von einst ist beileibe nicht selbstgefällig geworden. Seine intellektuelle Vision einer friedlichen Welt muss jedoch regelmäßig der hausgemachten Realpolitik weichen.