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Ein schöner Beginn

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Nun sprechen sie also doch wieder miteinander, der britische Cameron und der luxemburgische Juncker. Obwohl beide offensichtlich nicht gut miteinander können und Cameron Juncker als Kommissionspräsidenten nicht hat verhindern können, geht es also weiter. Weil es weitergehen muss.

Und vielleicht sind sich beide ja in einem Kritikpunkt Camerons einig, auch wenn dieser in der wirklich nicht mit feiner englischer Art angegangenen Schlammschlacht um die Person des früheren Luxemburger Premiers untergegangen ist. Denn im Gegensatz zu britischen Medien beschränkte Cameron seine Argumentation nicht nur auf persönliche Animositäten. Er sprach auch über Institutionelles.

Serge Kennerknecht skennerknecht@tageblatt.lu

Bislang, so sein Argument, haben die Staats- und Regierungschefs den Kandidaten für den Posten des Kommissionspräsidenten genannt, das Parlament konnte ihn annehmen oder ablehnen. Diesmal jedoch, so Cameron in einem offenen Brief (Tageblatt, 14. Juni), hat das Parlament zuerst Spitzenkandidaten genannt und will nun nur einen von diesen wählen. Das Parlament schlägt also ihm genehme Kandidaten vor und bestimmt nachher einen davon als Kommissionspräsidenten. Damit haben die EU-Abgeordneten de facto das bisherige Nominierungsrecht der Staats- und Regierungschefs ausgehöhlt. Was so explizit nicht im Lissabon-Vertrag festgehalten worden ist.

Unliebsame Überraschungen

Wenn nun diese Kandidaten sich nicht einmal selber der Parlamentswahl zu stellen brauchen, wie das bei Juncker der Fall war, also auch jemand Präsident werden kann, der von keinem Bürger gewählt wurde, dann stehen in mittelfristiger Zukunft durchaus Tür und Tor offen für unliebsame Überraschungen, so Cameron nicht zu Unrecht, der auf die immer zahlreicher werdenden EU-Gegner unter den Europaparlamentariern verweist. Immerhin sind sie im neuen Parlament bereits jetzt zu rund 200. Diese sind erklärtermaßen ausgezogen, den Marsch durch die Institutionen anzutreten, um das ihnen unliebsame EU-Gefüge von innen her aufzuweichen und umzugestalten.

Dessen ungeachtet wäre es interessant, zu wissen, was die beiden sich am Telefon außer Nettigkeiten gesagt haben. So wie es auch interessant wäre, zu ergründen, um es mit dem bisherigen Luxemburger Europaabgeordneten Robert Goebbels zu sagen, wie Juncker es geschafft hat, einerseits die Austeritätspolitik liebende Angela Merkel und gleichzeitig die eher verstärkt auf Wachstum und soziale Inhalte setzenden europäischen Sozialisten bei seiner Nominierung für sich zu gewinnen.

Vielleicht hat er Frau Merkel daran erinnert, dass ausgerechnet das heute als Hüter des Stabilisierungspaktes auftretende Deutschland zu Beginn des neuen Jahrhunderts Weltmeister in Sachen blaue Briefe (oder deren Verhindern) der Kommission wegen Defizitsverfahren war. Sich Berlin also damals nicht scheute, den ach so geliebten Pakt auch schon mal kurzfristig einseitig auszuhebeln.

Frankreich und Italien, beide mit linken Politikern an der Spitze, wollen jetzt auch neue Auslegungen des Paktes, die Investitionsprogramme und Wachstumspakete ermöglichen, ohne das Defizit zu erhöhen. Die Austeritätspolitik habe den Euro gestärkt, aber das Wachstum erstickt, sagt hierzu der italienische Premier Renzi, dessen Land heute die EU-Präsidentschaft übernimmt. Recht hat er.

Es liegt jedoch nicht nur am Wachstum. Denn auch dort, wo Mittel sind, versagt Europa. Beispiel Jugendarbeitslosigkeit. Als fragwürdig bezeichnete es der Luxemburger Arbeitsminister Nicolas Schmit letzte Woche, dass in diesem Monat die Staats- und Regierungschefs über die sechs Milliarden Euro reden werden, die vor langer, langer Zeit von Kommission und Rat für die Jugendbeschäftigungsgarantie zur Verfügung gestellt worden sind. Bislang sei noch kein Cent geflossen, weil von den angepeilten Ländern mit einer Jugendarbeitslosigkeit von über 25% verlangt wird, dass sie ebenfalls Finanzierungsmittel hierfür bereitstellen. Und das bei deren aktuellen Haushaltslagen. Ein Skandal.

Juncker wird ein gewichtiges Programm auflegen müssen, um Europa voranzubringen. Wirtschaftlich, politisch, sozial. Vielleicht könnte er ja im Herbst damit anfangen, die besagten Gelder für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit von finanziellen Gegenleistungen der betroffenen Staaten zu befreien. Die Mittel sind da. Dann vergeht zwar wieder wertvolle Zeit, aber immerhin wäre dies doch ein schöner Beginn.