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Ein Albtraum für jeden

Ein Albtraum für jeden
(dpa-Archiv)

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„Als ich das Drehbuch gelesen hatte, fand ich es deprimierend. Ich sagte zu Haneke, ich werde den Film nicht machen. Aber ich bin froh, das Drehbuch gelesen zu haben.

So weiß ich wenigstens, dass ich mir den Film nicht anschauen werde“, sagte Jean-Louis Trintignant in einem Interview.

Janina Strötgen jstroetgen@tageblatt.lu

„Amour“ hat mittlerweile die Goldene Palme gewonnen. Mit Jean-Louis Trintignant in der Hauptrolle. Er hat sich den Film trotzdem angetan. So wie die vielen Kinobesucher auch. „Amour“ ist ein Schlag ins Gesicht. Erschreckend. Atemberaubend. Zum Weggucken. Manche Szenen regelrechte Zumutungen. „Amour“ – schon alleine der Titel kann einen umhauen.

Die Kraft des Films liegt darin, dass er den Menschen Mensch sein lässt. Und dass er zeigt, dass Sterben scheiße ist. Das klingt banal. Aber in der Beschäftigung mit dieser zumindest vordergründigen Banalität liegt die Erwartung an die Kunst, die Haneke auf eine Weise erfüllt, wie es selten gelingt. Lässt man sich auf ihn ein, spendet der Film Trost. Er schweißt zusammen, weil er die Zuschauer dazu zwingt, sich mit ihrer eigenen und vor allem mit der Endlichkeit eines geliebten Menschen auseinanderzusetzen. Und weil er ihnen zumindest für den Augenblick des Abspanns – solange es noch dunkel ist im Kino – erlaubt, traurig darüber zu sein, dass der Tod existiert. „Amour“ ist ein Film für jeden, der sich gerade zu Allerheiligen dieser Stimmung stellen möchte. Für alle anderen gibt es zeitgleich auch den neuen James Bond.

Sterbehilfe: eine Umarmung

Emmanuelle Riva und Jean-Louis Trintignant spielen Anne und Georges, ein Ehepaar, weit über die 80, das seit vielen Jahren verheiratet ist. Der Film beginnt mit dem Ende, mit dem Tod. Die Polizei – wahrscheinlich angezogen vom Verwesungsgeruch – bricht die Eingangstür zu einer Wohnung irgendwo in Paris auf und findet eine Frau, auf ihrem Bett liegend. Angezogen in ihrem besten Kleid, um sie herum Blumen verstreut. Die Frau ist tot, sicherlich schon eine Weile, ihr Ausdruck voller Würde.

Dann der Cut. Ins Théâtre des Champs-Elysées. Georges und Anne sitzen im Publikum, ein ehemaliger Schüler von Anne gibt ein Klavierkonzert. Am nächsten Morgen erleidet Anne einen leichten Schlaganfall. Eine Halsschlagader ist verstopft. Doch die Routine-OP misslingt. Anne ist nun halbseitig gelähmt. Sie nimmt ihrem Mann das Versprechen ab, sie nie wieder in ein Krankenhaus zu bringen. Es folgt ein zweiter Schlaganfall, der sie ans Bett fesselt und ihre kognitiven Fähigkeiten nahezu ausschaltet. Man hört Anne wimmern, schreien, heulen und lallen. Georges kümmert sich selbst, wickelt, wäscht und füttert sie, erzählt ihr Geschichten aus seiner Kindheit, streichelt ihre Hand, hievt sie in die Badewanne, lässt sich beschimpfen. Auf die Frage seiner Tochter, wie es denn nun weitergehen soll, antwortet Georges in aller Ruhe: „Es geht so weiter wie bisher, bis es irgendwann zu Ende ist.“

Die Handlung des Films besteht aus schrittchenweisem Sterben, zeigt den unaufhaltsamen menschlichen Verfall, eine zwangsläufige Entfremdung. Doch der Film beobachtet vor allem auch, wie sich Liebe verwirklicht, wie weit ein Mensch aus Liebe gehen kann und wo die Grenzen liegen. Auf die Frage, was für ihn persönlich Liebe bedeute, antwortete Haneke zwar, das bleibe sein Geheimnis, da man beim Versuch, solche Dinge zu definieren, nur scheitern könne. Doch zum Glück definiert Kunst nicht, sondern beobachtet.

Als Anne nicht mehr trinken will und Georges ins Gesicht spuckt, gibt er ihr eine Ohrfeige. Beide sind von seiner heftigen Reaktion überrascht, er entschuldigt sich. Sie blicken sich tief in die Augen. Dann drückt er ihr plötzlich das Kissen aufs Gesicht und erstickt sie. Es sieht aus, als würde er sie umarmen.