Von der Ukraine über Syrien, den Irak, Gaza bis hin zu den USA: In Sachen Menschenrechtsverletzung gibt es keine Ausnahme. Begriffe wie der «Westen» oder eine Unterteilung in Nord und Süd erweisen sich in dieser Problematik als überflüssig. Denn auch der «Westen» ist nicht so zivilisiert, wie er sich gibt, trägt er doch an zahlreichen Konflikten die Mitschuld. Sei es durch Waffenlieferungen, politische Destabilisierung oder durch Gleichgültigkeit. Zudem sind Verfehlungen auf dem heimischen Parkett keine Seltenheit. Man denke nur an die Todesstrafe in den USA.
Dhiraj Sabharwal dsabharwal@tageblatt.lu
Aber auch die internationale Gemeinschaft, die meist als Synonym für die Vereinten Nationen (UN) im Sprachgebrauch verwendet wird, steht im aktuellen AI-Bericht in der Kritik. Die humanitäre Organisation weist zu Recht darauf hin, dass viele der aktuellen Krisen durch den Opportunismus der ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat nicht gelöst werden: Die USA stimmen systematisch gegen jede Resolution, die es den Palästinensern ermöglichen würde, ein Leben in Würde und Frieden zu führen. Russland stimmt so ziemlich gegen alles, was seine interne Stabilität gefährden könnte oder seine außenpolitischen Interessen tangiert. Dies gilt auch für China, allerdings besitzt Peking im Gegensatz zu Moskau wesentlich mehr Fingerspitzengefühl auf dem diplomatischen Parkett. Und dann wären da noch die beiden Europäer, Frankreich und Großbritannien, die eigentlich dem «Good Will» ihrer Mitspieler ausgeliefert sind. Beide stimmen durchaus für eine Resolution, die bereits durch eine Veto-Ankündigung eines nicht-europäischen Mitglieds zum Scheitern verdammt ist, aber das umgekehrte Szenario ist dann doch eher die Ausnahme, ja fast unvorstellbar. Dort, wo die USA, Russland und China kooperieren, kommt es kaum zu einer Blockade durch London oder Paris – was nicht zwingend negativ ist.
Dennoch zeigt das von Amnesty International kritisierte Verhalten im UN-Sicherheitsrat schwerwiegende Konsequenzen, wenn es um Weltpolitik geht. Dass Syrien mittlerweile eine in ihrem Ausmaß seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebte humanitäre Krise durchmacht, ist nicht nur durch das blutrünstige Assad-Regime und die oppositionellen Kräfte bedingt. Gerade der politische Opportunismus im UN-Sicherheitsrat, gekoppelt an militärische und logistische Unterstützung für die Konfliktparteien durch u.a. Russland und die USA, hat den Nährboden für die derzeitige Gewalteskalation und das humanitäre Drama bereitet.
Allerdings sollte man eine AI-Forderung mit großer Skepsis beurteilen: die Abschaffung des Vetorechts der ständigen Sicherheitsratsmitglieder. Zum einen, weil die Glaubwürdigkeit einer humanitären Organisation leidet, wenn sie derart politisiert. Zum anderen, weil man sich die Frage stellen muss, wie so mancher Konflikt sich entwickeln würde, wenn es nicht die «Veto-Notbremse» im UN-Sicherheitsrat gäbe. So bitter es auch klingen mag: Nicht das Vetorecht gestaltet die UN-Politik und verschlimmert Konflikte, sondern die Realpolitik und Egoismen der Mitglieder des Sicherheitsrats.
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