Das alles, weil die 96 Opfer einer der größten Stadionkatastrophen aller Zeiten und deren Angehörige nach 23 Jahren endlich Gerechtigkeit erfuhren.
Philip Michel pmichel@tageblatt.lu
Eine Untersuchungskommission hatte vor zehn Tagen die Wahrheit an den Tag gebracht. Die Sicherheitskräfte tragen die Hauptschuld an der Hillsborough-Katastrophe von Sheffield, bei der 96 Fans des FC Liverpool im April 1989 zu Tode gequetscht wurden. Die Zuschauer waren von der Polizei in einen überfüllten Block geleitet worden. Als sich das Drama dann abzeichnete, öffnete die Polizei die Stadionzäune nicht. Fußballfans galten in England spätestens seit der Heysel-Katastrophe 1985 als Rowdys, Hooligans und Staatsfeinde. Also sollte um jeden Preis verhindert werden, dass es zu einem Platzsturm kommt.
Der eigentliche Skandal begann jedoch mit der Aufarbeitung der schrecklichen Geschehnisse. Die Polizei schob die Schuld auf die Zuschauer und schönte über 100 Berichte, um von der eigenen Verantwortung abzulenken. Alle Opfer seien betrunken gewesen, sogar die Kinder unter ihnen. Zudem hätten Fans die Rettungsversuche der Polizei behindert, Betroffene beklaut und auf Opfer uriniert! Die Lügen wurden vom Massenblatt The Sun verbreitet und von der Politik gedeckt. Denn die Regierung Thatcher hatte kein Interesse daran, die Polizei in unruhigen Zeiten an den Pranger zu stellen. Sie brauchte sie zwischen Bergarbeiterstreiks und „Poll Tax“-Massendemonstrationen als Verbündete.
Zudem bot das Hillsborough-Drama die einmalige Gelegenheit, den englischen Fußball zu „säubern“, um es in den Worten Margaret Thatchers auszudrücken. Der Taylor Report, der die Auswirkungen und Ursachen der Katastrophe analysierte, sorgte dafür, dass neben den Zäunen am Spielfeldrand auch die Stehplätze verschwanden, was dann tatsächlich den Fußball auf der Insel radikal veränderte. Die „einfachen Leute“, bis dahin Hauptklientel der Fußballvereine, konnten sich die teuren Sitzplatzkarten nicht mehr leisten, mit ihnen ging die einmalige Atmosphäre in Englands Fußballstadien verloren.
Übertreibungen
Selbst wenn der Taylor Report Englands Stadien sicherer machte, so basierte er dennoch auf Lügen, wie der nun erschienene Bericht der Untersuchungskommission beweist. Das sollte nicht vergessen werden, wenn es wie momentan in Deutschland eine von den Boulevardmedien befeuerte und daher reichlich überhitzte Diskussion über die Sicherheit in Fußballstadien gibt.
Nicht alle Fußballfans, auch nicht die Ultras, sind über einen Kamm zu scheren. Idioten gibt es immer wieder. Mit der heutigen Überwachungstechnik sollte es durchaus möglich sein, diese herauszufiltern, anstatt die Gesamtheit der Fans mit übertriebenen Maßnahmen zu drangsalieren.
Zu dieser Erkenntnis ist man in Liverpool schon lange gekommen. Immerhin haben die Angehörigen der 96 Toten nun Gewissheit, dass die Opfer keine Schuld trifft. Ob sie sich darüber freuen können? Wohl kaum, denn gleichzeitig enthüllte der Bericht, dass mindestens 41 Menschen noch leben könnten, hätten die Sicherheitsbeamten richtig reagiert.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können