Noch ist es offensichtlich nur eine Minderheit der Demonstranten, die entschlossen ist „à en découdre“. Die Frage ist, wie lange das wohl noch so bleiben wird.
Francis Wagner fwagner@tageblatt.lu
Durch die gnadenlose Austeritätspolitik wird immer mehr Menschen in beiden Ländern die Luft zum Atmen abgewürgt.
Immer mehr Griechen und Spanier haben keine Vorstellung davon, wie das Brot auf den Tisch kommen soll, woher sie das Geld für die Miete nehmen sollen, wie die Arztrechnungen bezahlt werden sollen und wie ihren Kindern das Studium finanziert werden soll.
Nahrung, Wohnung, Gesundheit und Bildung, das alles ist nicht irgendein Luxus, den man in Zeiten der Haushaltskrise eben mal abschalten kann, bis es irgendwann mal wieder besser geht. Nein, es handelt sich vielmehr um Menschenrechte, die unkündbar sind, die in einem zivilisierten Land auch dann noch zu gelten haben, wenn die Zeiten rauer werden.
Die Apostel der Austerität um jeden Preis haben ein kleines, dreckiges Geheimnis: Ihre Dogmen werden zusehends zur Gefahr für Freiheit und Demokratie. Es stellt sich nämlich die Frage, wie lange breite Schichten der Bevölkerung loyal zu einem politischen System zu stehen bereit sind, das immer weniger in der Lage ist, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen.
Demokratie in Gefahr
Die Alternanz zwischen gemäßigten Linken und Rechten, die das politische Leben in den meisten westlichen Demokratien bestimmt, wird für immer mehr Wähler zu einem inhaltsleeren Ritual.
Austretende Regierungen werden am Wahltag hinweggefegt, aber ihre im Triumph auf den Schild gehobenen Nachfolger sind nach nur wenigen Monaten in den Meinungsumfragen ebenfalls nur noch in etwa so populär wie Hämorrhoiden. Wahlversprechen erweisen sich als haltlos: Die Passivität und die Einfallslosigkeit der großen Volksparteien bewirken Desillusionierung und Zynismus beim wahlberechtigten Volk. Ein Zynismus, der nachhaltig durch den Umstand gefördert wird, dass jene, die am meisten von der internationalen Finanzkrise profitieren, in der Regel die gleichen Geldsäcke sind, die das Desaster zu verantworten haben, von denen aber quasi niemand zur Verantwortung gezogen wird.
Noch scheint in den Ländern EU-Europas die Demokratie unverrückbar fest im Sattel zu sitzen. Doch wenn sich immer weniger Leute mit einem System identifizieren können, über das sie den nicht ganz unbegründeten Verdacht hegen, dass es sie eiskalt im Stich lässt, dann könnte sich das schnell ändern.
Rechtsdemagogische Populisten sind schon eifrig darum bemüht, Stimmung zu machen. Griechen als solche, Immigranten im Allgemeinen und Asylsuchende im Besonderen oder Bezieher sozialer Unterstützung: Die üblichen Verdächtigen werden verstärkt zur Zielscheibe von systematischer Herabwürdigung und Aggressionen.
Nationalismus und Fremdenhass sind das altbewährte Mittel, mit dem rechte Verführer versuchen, Mehrheiten zu erringen.
Der systematische Abbau des Sozialstaates sowie des ihm innewohnenden Solidaritätsgedankens und deren Ersetzen durch das – dem Kapitalismus in seinem innersten Kern eingepflanzte – Recht des Stärkeren können sich schneller zum Dynamit für unsere Freiheiten erweisen, als wir uns das gegenwärtig vorstellen wollen.
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