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Die Juncker -Tragödie

Die Juncker -Tragödie

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Nun wächst Juncker in seine neue Rolle hinein, die des tragischen Helden. Er wusste schon lange, dass sie ihm zuteil würde; daher ist er bestens vorbereitet und wir, das schaudernde, aber nicht unglückliche Publikum, dürfen weitere, das Gemüt erregende Auftritte erwarten.

Das klassische Schema der griechischen Tragödie spielt sich in Luxemburg nach bewährtem Muster ab: Einst war der Held Juncker im Glück, und das Glück machte ihn übermütig; er lebte gefährlich (im politischen Sinne) und glaubte, die Götter schützten ihn, den Liebling.

Alvin Sold asold@tageblatt.lu

Aber auf die Götter ist kein Verlass. Sie erfreuen sich mitunter am Leiden ihrer Günstlinge, etwa so, wie
Merkel und Sarkozy sich an der Pein ihres Juncker erfreuten, als sie ihm das Amt des ersten EU-Ratspräsidenten versagten. Warum waren sie so grausam? Sollte man im Lichte der neuen Erkenntnisse über die Geheimdienste davon ausgehen, dass der Held ihnen, von nah besehen, nicht passte? Zu wortreich, zu unvorsichtig, zu
schillernd?

Der Held J. ist einer, der sich, zu Hause und in der weiten Welt, dann richtig wohlfühlt, wenn er lehrt und belehrt. Gern vergisst er Elementarstes: Luxemburg als solches zählt nicht; den Luxemburger aber kann man einsetzen als Boten: er spricht ja einige Sprachen.

Bech war ein Bote, und Werner, und Thorn, und Santer auch. Werner, der aus seinem vollen Wirtschaftsfundus schöpfende Fachmann, Thorn, der brillante, illusionslose Rhetoriker, und Santer, der bescheidene Diener der
Großen, überzogen den Luxemburger Kredit nicht; Bech und Juncker jedoch neigten dazu, in der „cour des grands“ mitspielen zu wollen. Wobei Bech, während der großartigen Gründerzeit nach dem Krieg, tiefere Spuren hinterließ als Juncker während der jetzigen Dekadenz.

Mit Sicherheit wurzelt die Juncker-Tragödie in einem fundamentalen Missverständnis zwischen ihm, dem Helden, und dem Land, das ihn liebte.

Das Land, so will es seine Verfassung, hat keinen Chef, wie es die deutsche Kanzlerin oder der französische Präsident sind und wie Juncker es partout sein wollte.
Der Luxemburger Staatsminister ist, als Regierungspräsident, ein Primus inter pares, ohne Weisungsrecht an die Minister.

Juncker führte sich immer auf wie „der“ Chef, und seine Ministerkollegen, denen er rhetorisch überlegen war, ließen ihn gewähren. Er weckte draußen, in Europa, den Eindruck, er hätte tatsächlich und formal das Sagen. Er schauspielerte.

Diese ungebändigte Lust am Chef-sein-Wollen führte ihn in die Falle. Er verfügte nie, zu keinem Moment, über die Beamtentruppe, die man braucht, um komplexe Ressorts im Griff zu behalten; sein Geheimdienst wurde nicht, wie die seiner EU-Kollegen, permanent kontrolliert; er lebte im Wahn, den SREL so nebenbei unter Obacht zu halten, wie viele andere Dossiers. Die Verstöße gegen geltendes Recht leistete er sich während der letzten Jahre, weil er sich dieses Recht zurechtbog. Diese, seine Hybris brachte ihn zu Fall.

Dann schließt sich der Kreis

Luxemburg braucht für den überfälligen Neubeginn eine Regierung, die ihre Hauptkraft einsetzt, um die dringenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu lösen, möglichst im Einverständnis mit den außerparlamentarischen Kräften.

Neuwahlen wären nur dann eine echte Chance für alle, die auf diesem schönen Fleck Erde leben und arbeiten, wenn ihr Ergebnis die bleierne Vorherrschaft der CSV in Frage stellte.

Dafür sind die Voraussetzungen in einem kurzen Wahlkampf leider nicht gegeben. Juncker und seine Partei werden weitaus stärker bleiben als die andern, und wiederum in der Lage sein, sich einen gefügigen Partner zu bestellen.

Dann schließt sich der Kreis: Im letzten Auftritt des Chef-Darstellers mutiert die Juncker-Tragödie zur Luxemburg-Tragödie: Das Land erhält keine Chance zum Durchstarten.