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Die föderale Frage

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Vergangene Woche hatte der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, wieder die Gelegenheit für einen großen Auftritt. Vor den EU-Parlamentariern hielt er, wie es auch der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika tut, seine Rede zur Lage der Union.

Es war eine engagierte Ansprache, die der Chef der Brüsseler Behörde mit der Forderung einer Schaffung einer Föderation der Nationalstaaten krönte. Manche luxemburgischen EU-Politiker meinten, dass bereits einer von Barrosos Vorgängern, und zwar kein Geringerer als Jacques Delors, eine solche Föderation verlangte und dies demnach nichts allzu Neues sei.

Guy Kemp gkemp@tageblatt.lu

Was genau der EU-Kommissionspräsident allerdings unter diesem Staatenbund versteht, dazu schwieg er sich aus und vertröstete die Zuhörerschaft auf den Frühling 2014. Vor den Europawahlen werde die Europäische Kommission konkrete Ideen für diese Föderation vorlegen, versprach Barroso. Zu mehr ließ er sich nicht hinreißen.

Wozu aber diese inhaltslose Ankündigung? Die vor allem mit dem Euro zahlenden Europäer haben in der gegenwärtigen Schuldenkrise entdeckt, dass in Maastricht eigentlich nur halbe Sache gemacht wurde, wenn überhaupt, und sich auch bei späteren Vertragsänderungen mit dem Nötigsten an wirtschafts- und währungspolitischer Integration begnügt wurde.

Den Kap neu ausrichten

Um das Versäumte nachzuholen, haben eben gerade die sogenannten vier Präsidenten den Auftrag erhalten, sich Gedanken über eine Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion zu machen. Barroso soll, neben dem Präsidenten des Europäischen Rates (Herman van Rompuy), der Europäischen Zentralbank (Mario Draghi) und der Eurogruppe (Jean-Claude Juncker), einer der Hauptarchitekten dieser stärkeren institutionellen Konstruktion für den Euroraum sein. Soll er doch gleich mit seinen Ideen vorpreschen, die Lösungen werden jetzt gebraucht, nicht erst in anderthalb Jahren.

Denn der benötigte stärkere Unterbau der Wirtschafts- und Währungsunion wird eine viel engere Abstimmung zwischen den Euro-Staaten erfordern sowie eine stärkere Kontrolle und Mitsprache eines wie auch immer gearteten zentralen Gremiums. Und dann stellt sich unweigerlich die Frage nach der demokratischen Kontrolle und Mitbestimmung, die trotz krisenbedingten Zeitdrucks nicht ausgeklammert werden darf. Dazu kann man sicherlich mehr erwarten, wenn die vier Präsidenten bei nächsten EU-Gipfeltreffen in Brüssel einen weiteren Zwischenbericht über ihre Denkarbeit vorlegen werden.

Doch wenn José Manuel Barroso wirklich einen großen Sprung hätte wagen wollen mit seiner Rede, wenn er mutig und der Lage in der EU gemäß konsequent hätte sein wollen, hätte er den Kap auf ein föderales Europa, auf die Vereinigten Staaten von Europa ausrichten sollen. Denn was sollte eine Föderation der Nationalstaaten mehr sein als das, was sich nun aus der Krisensituation heraus ohnehin ergeben muss? Zusätzliche Seiten und Seiten an komplizierten Vertragsformulierungen, die dem gemeinen EU-Bürger den Sinn für Europa keinen Deut näher bringen.

Gewiss, in Zeiten, in denen einem in Kernländern der EU wie Deutschland bei der Forderung für ein Zusammenstehen für die Einheitswährung von maßgeblichen Seiten mit der äußerst dümmlichen Bezeichnung Schuldenunion entgegnet wird, ist es schwierig, die Diskussion um einige Etappen weitertreiben zu wollen. Der Versuch sollte jedoch gewagt werden, denn mit der derzeitigen Flickschusterei wird sich Europa zunehmend schwerer tun.