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Der Staat im Staate

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Ägyptens erster frei gewählter Präsident Mohammed Mursi ist gestürzt worden. Revolution, Putsch oder etwa beides?

Wer sich die Fernsehansprache des Generalstabschefs Abdel Fattah al-Sisi angesehen hat, kann nur zu einer Schlussfolgerung kommen: Es handelt sich eindeutig um einen von langer Hand geplanten Putsch. Die Inszenierung war makellos. Zu sehen und zu hören waren die Galionsfiguren der koptischen und muslimischen Glaubensgemeinschaften sowie die politische Opposition um Mohammed ElBaradei und den Kopf der Tamarod-Bewegung.

Dhiraj Sabharwal dsabharwal@tageblatt.lu

Die Botschaft war eindeutig: Die Armee hilft allen Ägyptern, sich vom Joch der Muslimbrüder zu befreien. Ist das Militär jedoch derart selbstlos? Oder hat es vielmehr aus Eigeninteresse einen Regimewechsel erzwungen und sich gleichzeitig aus der Schusslinie manövriert? Letzteres scheint wahrscheinlicher, hatte man sich doch nach dem Sturz Mubaraks vergebens als ineffiziente Staatenlenker versucht und Ägypten in eine chaotische Übergangsphase gestürzt.

Nein, der Oberste Rat der Streitkräfte (SCAF) handelt nicht uneigennützig im Sinne der Bevölkerung. Durch die Inszenierung eines friedlichen Wandels, der ein Putsch ist, versucht man wie gewohnt, aus dem Hintergrund die Strippen zu ziehen, dieses Mal aber die politische Verantwortung zivilgesellschaftlichen Akteuren in die Schuhe zu schieben und eigene Privilegien zu sichern.

Denn: Trotz Mursis gewaltfreien Sieges im Machtkampf vergangenen August gegen das Militär und den damaligen Feldmarschall Tantawi wollte niemand so recht an diesen Burgfrieden glauben – obschon Ägyptens Spitze die Armeeführung für ihr anfängliches Kuschen fürstlich beschenkt hatte. Mursi und seine Muslimbrüder begingen später einen kapitalen Fehler. Mit rhetorischen Speerspitzen wetterten sie gegen das Militär. Man streute Gerüchte, dass Tantawi sich in einem Prozess zu verantworten habe und legte mit einer möglichen Entlassung des aktuellen Armeechefs al-Sisi nach.

Die Machthebel Kairos

Dies war selbst Letzterem, einem Strenggläubigen aus dem Umfeld der Muslimbrüder, zu viel. In der ägyptischen Armee regieren nur drei Interessen: nationale Stabilität, ein prall gefüllter Geldbeutel und die politische Dominanz säkularer Streitkräfte (alle Amtsvorgänger Mursis stammen seit 1952 aus Militärkreisen).

Religion gehört ins Privatleben, die Zugehörigkeit zur Armee dominiert. Mursis Drohgebärden waren aus militärischer Sicht daher gefährlich fürs Geschäft. Das Wirtschaftsimperium des Militärs, ein wahrer Staat im Staate, beschäftigt Tausende Zivilisten und ist je nach Einschätzung Ägyptens größter Arbeitgeber. Man betreibt Krankenhäuser, Bäckereien, Reparationsdienste und touristische Institutionen. Machtmenschen wie al-Sisi lassen sich dieses wirtschaftliche Zuckerl ungern aus den Händen reißen. Außerdem unterstützen die USA die knapp eine halbe Million Mann starke ägyptische Armee mit jährlich 1,3 Milliarden Dollar.

Die aktuelle US-Gesetzgebung verbietet aber militärische Unterstützung, falls es im Empfängerland zu einem Staatsstreich kommt. Die Armee wollte deshalb unter keinen Umständen an die politische Spitze zurück, sondern lediglich die unliebsamen Bärtigen von den Machthebeln Kairos entfernen. Wer wird denn gleich von Putsch sprechen … So inszenieren sich die Generäle als Helden der nationalen Einheit und füllen ihre Taschen mit amerikanischen Geldern.

Washington dürfte die aktuelle Entwicklung nicht stören und ein Auge zudrücken. Hatte man auf die Muslimbrüder wenig Einfluss, so sitzt man bei den Streitkräften am längeren, wirtschaftlichen, also politischen Hebel.