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Der Staat als Selbstzweck

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Die Enthüllungen von Edward Snowden über die Internet-Überwachungsprogramme des US-Geheimdienstes NSA riefen allgemeine Empörung hervor.

Die EU-Justizkommissarin Viviane Reding regte sich auf, das Konzept der nationalen Sicherheit bedeute nicht, dass alle Mittel erlaubt seien. Nicht alle Regierungen teilen ihre Meinung. Die Einschüchterungen der britischen Regierung gegenüber der Tageszeitung The Guardian – eine der Zeitungen, die Snowdens Enthüllungen druckten – zeigen, wie es um den doch so hochgelobten europäischen Standard in Sachen Rechtsstaatlichkeit steht. Der Druck, den die britische Regierung auf den Guardian ausübte, um die Datenträger mit Informationen über den Abhörskandal der NSA zu vernichten, hat einmal mehr verdeutlicht, wie weit ein Staat zu gehen bereit ist, um seinen Willen durchzusetzen.

Claude Molinarao

cmolinaro@tageblatt.lu

Die Staatsräson gilt seit jeher als Alibi, um Gesetze zu missachten oder Spezialgesetze zu erlassen, die elementare Grundrechte mit Füßen treten. Vor dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 zeigte der Westen bei jeder Gelegenheit mit dem moralischen Finger auf die Regime des Ostblocks, die absolut keinen Respekt vor irgendwelchen Menschenrechten zeigten und wo jedes Detail im Leben derer ausspioniert wurde, die der Obrigkeit kritisch gegenüberstanden. Heute wissen wir, der Westen war und ist nicht besser. Im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus – was ja mittlerweile alle staatlichen illegalen Aktionen rechtfertigt – verschaffte sich die NSA Zugang zu Millionen von Daten der Benutzer der größten Online-Dienste.

Der Zweck heiligt die Mittel

Quellenschutz und das Recht auf freie Meinungsäußerung sind nicht mehr das Papier wert, auf dem sie geschrieben stehen, wenn eine Regierung sich bedroht fühlt. Und das nicht nur im Ausland. In Luxemburg herrschte stets die Meinung, wir seien moralisch besser alles alle anderen, bei uns gehe alles mit rechten Dingen zu.

Der Geheimdienstskandal hat uns eines Besseren belehrt. Der Spitzeldienst überwachte Tausende von Luxemburgern und legte eine Akte über sie an. Die halbherzige Bereitschaft zur Offenlegung dieser Akten zeigt, dass sich ein Geheimdienst – egal unter welchem Regime er arbeitet – sehr ungern in die Karten blicken lässt. Die Essenz eines Geheimdienstes ist, dass er geheim ist. Dazu gehört ganz einfach, dass er sich nicht kontrollieren lassen will. Der Geheimdienst-Untersuchungsausschuss schreibt in seinem Abschlussbericht: „Le service de renseignement est par essence même un corps étatique étranger au concept de la démocratie dont les caractéristiques essentielles et principales sont la transparence et les mécanismes de contrôle.“

Es wurden zwar einigen ausgewählten Betroffenen verschiedene Akten übergeben. Diese wiederum sagen aber, die ausgehändigten Dokumente seien nicht komplett. Trotz aller Versprechungen und Zusagen spielen etliche Verantwortliche nicht mit offenen Karten. Aktenschränke wurden zwar versiegelt, aber wie viele Akten es in digitaler Form gibt, kann wohl kaum kontrolliert werden.

Eine Lösung wäre die Abschaffung des Geheimdienstes, eine Möglichkeit, die jedoch von der parlamentarischen Untersuchungskommission nicht zurückbehalten wurde. Der Nutzen des Geheimdienstes sei nicht infrage gestellt. Die Frage nach dem Sinn und mehr noch nach der Kontrolle eines Geheimdienstes wirft auch die Frage nach der Aufgabe der staatlichen Institutionen auf. Im Idealfall sollen der Staat und seine Gesetze der institutionalisierte Ausdruck des Volkswillens sein.

Politiker sehen den Staat jedoch allzu oft als eine Art Firma an, die sich mit allen Mitteln vor Konkurrenten – d.h. Andersdenkenden – schützen muss und dabei auf die Hilfe ihres Geheimdienstes zurückgreift.