Eine unsichere Zukunft, Rekordarbeitslosigkeit, Sozialabbau, das Primat der Märkte sowie unverantwortliche Sparzwänge sind noch immer eine Realität – auch wenn man in Europa seit der Wahl François Hollandes wenigstens endlich das Wort „Wachstum“ wiederentdeckt hat. Doch wie schnell Protestbewegungen durch wachsende Missstände wieder entstehen können, zeigt derzeit die kanadische Provinz Quebec.
" class="infobox_img" />Michelle Cloos mcloos@tageblatt.lu
Zehntausende Studenten kämpfen seit Februar gegen eine drastische Erhöhung der Studiengebühren. Anfangs hatte niemand gedacht, dass der Protest mehrere Monate andauern würde, doch die Studenten streiken und demonstrieren noch immer und erhalten dabei sogar Unterstützung aus der Bevölkerung. In Kanada spricht man mittlerweile sogar vom „Printemps érable“, als Analogie zum sogenannten „Arabischen Frühling“ (das Ahornblatt gilt als Symbol Kanadas und befindet auch auf der Nationalflagge des Landes). Das Markenzeichen der Demonstranten ist die „casserole“, denn während der Protestzüge klopfen sie mit Kochlöffeln auf Töpfe, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen.
Die Regierung in Quebec plant, die Studiengebühren in den kommenden fünf Jahren um 75 Prozent zu erhöhen, das entspricht einer Steigerung von 254 kanadischen Dollar (195 Euro) pro Jahr. Hinzu kommt u.a. eine „taxe santé“ von 200 Dollar, die man bezahlen muss, um vom öffentlichen Gesundheitssystem profitieren zu können. Diese Gebührenerhöhung ist Teil der neoliberalen Austeritätspolitik der Regierung von Premierminister Jean Charest.
Dabei leiden die Studierenden im kanadischen Quebec bereits jetzt oftmals unter der Schuldenlast. Immer mehr junge Leute müssen Kredite beantragen, um sich ein Studium leisten zu können, oder sich neben den Kursen an der Universität eine Arbeit suchen, um ihre Rechnungen am Ende des Monats bezahlen zu können. Das bedeutet, dass sie entweder nach ihrem Hochschulabschluss mit erheblichen Schulden in die Arbeitswelt eintreten oder, dass sie im Fall eines Teilzeitjobs weniger Zeit fürs Lernen aufbringen können, was wiederum ihre Chancen auf ein erfolgreiches Studium beschränkt.
Die Liberalen – die seit neun Jahren in Quebec am Ruder sind und deren Ansehen seither wegen mehrerer Korruptionsskandale angekratzt ist – haben so falsch reagiert, wie es nur möglich war. Überzeugen konnten sie ihre Kritiker nicht, mit ihnen reden und nach einer wahrhaftigen Lösung suchen wollten sie nicht.
Ein Warnzeichen
Folglich versuchten sie ein Ende des Bildungsprotestes zu erzwingen. Sie setzten ein neues Gesetz durch, das Demonstrationen erschweren sollte. Die Versammlungsfreiheit und das Demonstrationsrecht wurden ohne irgendwelche Gewissensbisse seitens der Regierenden reduziert. Doch diese groteske Freiheitseinschränkung hat die Studenten keineswegs ruhiggestellt.
Im Gegenteil. Immer mehr Menschen schlossen sich den Kundgebungen an.
Das umstrittene Sondergesetz sieht zudem vor, dass diejenigen, die ihre Mitstudenten durch Streikposten davon abhalten, an den Universitätskursen teilzunehmen, eine Strafe bis zu 125.000 Dollar (circa 96.000 Euro) zahlen müssen. Gewerkschaften und verschiedene Organisationen haben bereits angekündigt, den Gesetzestext vor Gericht anfechten zu wollen.
Der Studentenprotest in Quebec ist jedenfalls ein Warnzeichen, dessen Botschaft sich weit über die Grenzen Kanadas hinaus bewahrheitet: Kein Land kann es sich leisten, seine Jugend zu vernachlässigen und sie zur Perspektivlosigkeit, Armut und Prekarität zu verdammen.
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