Wir leben zum Teil immer noch in demselben. Das flüssige Gestein wurde fortan zu dem strategischen Rohstoff par excellence. Er war nicht nur kriegsentscheidend, so mancher Krieg, so mancher Staatsstreich wurde sogar um und wegen ihm geführt. Erdöl brachte nicht jedem Volk Glück, war allerdings die Ursache für die Bildung der größten Vermögensanhäufungen der Menschheitsgeschichte.
Sascha Bremer sbremerr@tageblatt.lu
Erdöl im Besonderen und die Energie im Allgemeinen – und natürlich das Geld, das man mit ihr verdienen kann – bleiben auch heute, trotz der Vielfalt der Energieträger, der eigentliche „nerf de la guerre“. Nicht nur im sicherheitspolitischen, sondern besonders auch im volkswirtschaftlichen Sinne. Das Interesse Amerikas und der Welt am Persischen Golf würde viel geringer ausfallen, gäbe es dort nicht das billig zu produzierende Öl.
Es gibt nicht sonderlich viele Phänomene, Ereignisse oder Prozesse, von denen man in den letzten hundert Jahren im Voraus sagen konnte, dass sie ein oder zwei Jahrzehnte danach mit absoluter Sicherheit das Weltgeschehen oder das Weltgefüge völlig umkrempeln würden – und zwar auf politischer, sozialer wie auf wirtschaftlicher Ebene. Die Globalisierung, das Computerzeitalter, die Klimaerwärmung oder die Industrialisierung Chinas könnten als Beispiele hierfür gelten. Wobei natürlich am Beginn dieser Phänomene – soweit sie denn überhaupt mit Sicherheit gedeutet wurden – die langfristigen Konsequenzen kaum bis gar nicht einzusehen waren.
Energie-Autarkie der USA
Ein solches neues Phänomen wird die kommende Autarkie der Vereinigten Staaten von Amerika im Energiebereich sein. Diesmal geht es allerdings nicht nur um Erdöl, sondern auch um Schiefergas. Im Jahre 2004 gab es kein Schiefergas in den USA, nun macht die Energie aus dieser Förderung – durch das so umstrittene Fracking – bereits 30 Prozent des Marktes aus. Man rechnet damit, dass die USA innerhalb der nächsten 20 Jahre sowohl größter Erdöl- wie auch Schiefergasproduzent der Welt sein werden. Die Produktion soll dermaßen gigantisch sein, dass die Vereinigten Staaten sogar Netto-Exporteur werden können.
Neben der Energie-Autarkie winken neue Jobs in dieser Industrie – Obama verspricht sich 600.000 davon –, aber eben auch durch die Aufträge für diesen Industriezweig und die niedrigen Energiepreise eine erneute Reindustrialisierung, von der Europa wohl vorerst nur träumen kann. Das Ganze wird natürlich einen Preis für die USA haben – vor allem für die Umwelt. Allerdings sind natürlich technische Verbesserungen nicht ausgeschlossen.
Auch Europa wird von der neuen Bonanza in Amerika und anderswo zumindest zu einem Minimum profitieren können. Momentan sind wir eben in puncto Gasversorgung auf Gedeih und Verderb mit Russland verbunden. Fein, mögen die einen sagen, dann könnten wir unsere Abhängigkeit von den Russen in dieser Hinsicht drastisch senken. Das stimmt natürlich, allerdings hat die neuerliche Gas- und Öl-Bonanza in den USA eben auch weltweit Konsequenzen. Sollten neben den USA und Katar noch weitere Energie-Nettoexporteure (etwa Australien) auf den Plan treten, könnte Russland sehr schnell als Verlierer dastehen. Dort hat man bereits beschlossen, das weltgrößte Gasfeld in der Barentssee nicht zu erschließen – es würde sich gegenüber dem Schiefergas nicht rechnen. Im Interesse Europas wäre es sicherlich nicht, wenn unserem östlichen Nachbarn die Einnahmen quasi komplett wegbrechen würden.
Die Entwicklung in den USA könnte allerdings genauso gut Europa schaden, falls die US-Industrie ihre Kompetitivität durch billige Energiepreise drastisch verbessern kann.
Eine ganze Reihe politischer Fragen stellen sich natürlich angesichts des Engagements der USA in der Weltpolitik. Wenn die USA wirtschaftlich das Interesse in der Golfregion verlieren, werden sie sich dann auch von dort zurückziehen? Wird jemand anderes die Rolle Amerikas in dieser Region, die ja nicht so weit vor unserer Haustür liegt, übernehmen? Wie wird es um die Förderung von erneuerbaren Energien bestellt sein?
Eines ist jedoch bereits einsehbar: Die Gleichung für Europa und den Rest der Welt wird sich nicht um die Konstante Schiefergas oder kein Schiefergas drehen. Die Gesellschaften dürfen die Fragen um Energie, Sicherheitspolitik, Klimawandel etc., etc. nicht als unabhängig voneinander begreifen, sondern als Teile eines größeren Ganzen. Ob die europäischen Gesellschaften aber gerade hierzu fähig sein werden, ist momentan eher anzuzweifeln.
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