Dieses Europa, das von unfähigen und unterwürfigen Politikern zum Vasallen der USA und zum Diener der Finanzmärkte degradiert wurde, ist nicht das beispielhafte, auf sozialer Solidarität und kultureller Toleranz fußende politische Modell, an dem sich die übrige Welt ein Beispiel nehmen könnte.
Alvin Sold
asold@tageblatt.lu
Es ist nicht das Europa, von dem ich noch vor zweieinhalb Jahrzehnten träumen durfte. Damals, nach dem Kollaps der Sowjetunion, bestand die Möglichkeit, auf dem Boden der sozialen Marktwirtschaft einen Staatenverbund anzustreben, dessen oberste Ziele Frieden, Freiheit und gerecht verteilter Wohlstand wären.
Der Frieden wurde mit der forcierten EU-Osterweiterung im Gleichschritt mit der NATO nicht gesichert.
Die Freiheit wird von undemokratisch zustande gekommenen Regeln und Zwängen überwuchert; die Geheimdienste, insbesondere jene der USA, dürfen alles über jeden wissen; Google, Facebook und Konsorten sammeln in Europa ungestört private Daten über die Benutzer und verkaufen sie für Milliarden.
Den gerecht verteilten Wohlstand wird es in einer EU nach heutigem Muster nie geben. Im naiven Glauben, der entfesselte Markt würde schließlich Arbeitsplätze für alle schaffen, trieben die EU-Politiker die Liberalisierung der Wirtschaft und die Privatisierung der öffentlichen Dienste ohne Rücksicht auf die sozialen Folgen voran.
Jetzt, beim Buhlen um Stimmen, vergießen sie, wie der Luxemburger Juncker, Krokodilstränen über die 25 und 30 und mehr Millionen Arbeitslosen, darunter zahllose mit besten Diplomen versehene junge Menschen, über die Leistungskürzungen der Pensions- und Krankenkassensysteme usw., usf.
Die Plagen, die in EU-Europas Ländern unübersehbare Schäden anrichten, sind keine Naturkatastrophen. Sie sind bewusst oder unbewusst herbeigeführte Zustände, für die es Verantwortliche, ja, Schuldige gibt.
Es ist offensichtlich, dass die von der Brüsseler Kommission mit dem Segen des Rates der Staats- und Regierungschefs verordnete Austerität die konjunkturelle Erholung behindert und in einigen Fällen verhindert hat, die Verarmung besonders im Süden des Kontinents vorantrieb und nicht nur dort „Europa“ zu einem verhassten Kunstgebilde machte. Neben dem wirtschaftlichen Debakel der bisherigen EU-Führung ist der politische Scherbenhaufen ein unübersehbarer: Die Mehrheit der Europäer liebt dich nicht mehr, Europa!
Was tun?
Aber ich liebe dich noch immer, Europa.
Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die Wende zum Besseren von den Wahlen am 25. Mai ausgehen kann. Les choses étant ce qu’elles sont (Charles de Gaulle), stelle ich fest, dass der in weiten Kreisen vorhandene Wille zum Richtungswechsel in der Praxis allein von Martin Schulz, dem bisherigen Parlamentspräsidenten, umgesetzt werden kann. Als Wahlgewinner, als neuer Kommissionspräsident wäre Schulz in der Lage, Brüssel so aufzustellen, dass es, in enger Zusammenarbeit mit dem Parlament, den Rat und die Ministerräte auf den Weg zu einem politisch unabhängigen, wirtschaftlich erfolgreichen und sozial gesunden Europa führt.
Und so habe ich, der vom real existierenden Europa maßlos enttäuschte Luxemburger Wähler, die verdammte Pflicht, meinen winzig kleinen Einfluss zugunsten des Sozialdemokraten Schulz einzubringen.
Ich werde also am Sonntag den Kreis über der Liste schwärzen, die ihn unterstützt.
Alvin Sold
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können