Während niemand nach den jüngsten Schändungen israelischer Gräber in Frankreich noch darüber philosophieren sollte, ob es denn nun Antisemitismus in Europa gibt – ja, es gibt ihn leider immer noch –, wäre es endlich an der Zeit, mit der Ursachenbekämpfung zu beginnen. Allerdings ist Europa derzeit an so vielen Fronten ge- und überfordert, dass man sich nicht so schnell auf eine gesamteuropäische Diskussion freuen sollte.
DhirajSabharwal dsabharwal@tageblatt.lu
Demnach sind wieder einmal die Nationalstaaten gefragt, um klare Zeichen gegen den Antisemitismus zu setzen und die Sicherheit der in Europa lebenden jüdischen Glaubensgemeinschaft zu gewährleisten. Dass Frankreichs Premierminister Manuel Valls mit Empörung auf Netanjahus populistische Aufforderung reagiert hat, ist demnach mehr als begrüßenswert. Erstens stellt sich Frankreich wenigstens der Debatte über ein ernstes Problem – nicht wie Netanjahu, der für all die Probleme in seinem Staat externe Kräfte verantwortlich macht. Und zweitens hat Valls Mut bewiesen, indem er die populistischen Reflexe von Netanjahu direkt und öffentlich kritisiert hat.
Dass ein amtierender Premier des Staats Israel gerade zum Zeitpunkt eines auf Hochtouren laufenden Wahlkampfs dazu aufruft, dass alle Juden nach Israel zurückkehren sollen, ist nichts weniger als eine Frechheit. Es ist eine Frechheit gegenüber jenen Juden, die sich nicht von Extremisten sowie Halbstarken einschüchtern lassen und nicht zum Spielball israelischer Innenpolitik werden wollen. Und es ist eine Frechheit gegenüber jenen europäischen Staaten und Bürgern, die sich für eine tolerante Gesellschaft einsetzen. Denn Netanjahus Aufforderung ist als Generalverdacht gegenüber Europa zu interpretieren: Seht her, sie sind immer noch Antisemiten. Es ist selbstverständlich jedem selbst überlassen, zu entscheiden, in welchem Staat er leben will. Demnach wird Netanjahus Aufruf auch nicht wirklich etwas an den bisherigen Auswanderungstendenzen ändern: Es sind vielmehr die Taten von Radikalen, die Menschen dazu bewegen, mit dem Gedanken zu spielen, ihr Land zu verlassen.
Aber mal im Ernst: Wem will und kann Netanjahu hier eigentlich etwas vormachen? Nach all den Jahren der Siedlungspolitik und der damit verbundenen Straffreiheit hat der rechte Hardliner seinen Staat derart in die internationale Isolation geführt und die regionalen Animositäten gegenüber Israel verstärkt, dass das Land alles andere als ein sicherer Zufluchtsort geworden ist.
Unter Netanjahu sind die Beziehungen zu den USA äußerst unterkühlt – was wiederum nicht bedeutet, dass Washington Israel daran hindert, die Palästinenser derart ungerecht zu behandeln. Aber solange diese Ungerechtigkeit gegenüber dem palästinensischen Volk Bestand hat, kann es nicht zu Frieden im Nahen Osten kommen und Israel nicht zu dem sicheren Hafen für friedliebende Juden aus aller Welt werden. Das weiß Netanjahu und das wissen all die Hardliner in seiner Partei. Aber man gewinnt nun mal keine Wahlen mit dem Versprechen, Hass mit Toleranz zu bekämpfen. Deshalb wird Bibi nichts unversucht lassen, um weiterhin Angst zu schüren und von den Problemen im eigenen Land abzulenken: Niemand versteht es so gekonnt, Kritik an der israelischen Regierung als Kritik am Judentum umzuinterpretieren.
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