Der Countdown läuft. Am kommenden Wochenende finden die Europawahlen statt. Dann entscheidet sich, welche Abgeordneten künftig im Europaparlament sitzen und wie sich die neue Europäische Kommission zusammensetzt. Die EU-Wahl erregt weniger das Interesse der meisten Menschen als ein nationales Votum. Dabei ist sie nicht weniger bedeutend.
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Zwischen 70 und 80 Prozent der nationalen Gesetzgebungen sind heutzutage Umsetzungen europäischer Entscheidungen. Es ist folglich nicht nebensächlich, sondern sogar grundlegend, welche Parteien gewählt werden und welche Politik in den nächsten Jahren in Brüssel und Straßburg betrieben wird.
Gerade jetzt steht Europa vor schwerwiegenden Herausforderungen. 26 Millionen Menschen in Europa, davon 5,3 Millionen im Alter unter 25 Jahren, haben keine Arbeit. Gleichzeitig sind die europäischen Länder mit steigender Armut und Prekarität sowie einer sich ausweitenden Kluft zwischen Arm und Reich konfrontiert. Die letzten Jahre waren in der EU durch Sozialabbau und in manchen Ländern sogar die brutale und kategorische Demontage der sozialen Systeme geprägt.
Die Agenda Europa 2020 setzte noble Ziele wie die Erhöhung der Beschäftigungsquote der Bevölkerung zwischen 20 und 64 Jahren auf mindestens 75 Prozent oder die Reduzierung des Anteils an Bürgern unterhalb der jeweils nationalen Armutsgrenze um 25 Prozent, wodurch 20 Millionen Bürger aus der Armut entkommen sollten. Mittlerweile erscheinen diese beiden Zielsetzungen leider wie ein Wunschdenken, das sich immer weiter von der Realität entfernt.
Politische Verantwortung
Im Jahr 2012 waren 16,9 Prozent der Menschen in Europa von Armut bedroht, das ist eine Steigerung von 2,4 Prozent seit 2008. Zwischen 2008, also dem Jahr der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise, und 2013 gab es 10 Millionen mehr Arbeitslose. Das zeigen die Zahlen und Berechnungen der Studie „Benchmarking Europe“ des „European Trade Union Institute“ (ETUI). Das Fazit des Instituts ist unmissverständlich. Europa sei „auf dem halben Weg eines verlorenen Jahrzehnts“, heißt es in dem ausführlichen Bericht, der ein sozioökonomisches Panorama des heutigen Europas liefert.
Schuld an dieser negativen Entwicklung ist nicht nur die Krise, sondern auch die falsche Politik, der blinde Austeritätsglaube, der die soziale Krise noch weiter vertiefte und die Wirtschaft durch fehlerhafte Rezepte ausbremste. Folglich tragen auch die politischen Entscheidungsträger, die diese Politik europaweit mitgestaltet und mitgetragen haben, eine erhebliche Verantwortung für das aktuelle soziale Desaster.
Europa braucht keine fünf weiteren Jahre, in denen die Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen und der Sozialabbau vorangetrieben werden. Europa braucht auch kein geheim verhandeltes Freihandelsabkommen mit den USA, das im Gegenzug eines rein theoretischen Versprechens von maximal 0,05% Wachstum pro Jahr riskiert zum Ausverkauf der sozialen, arbeitsrechtlichen und ökologischen Standards zu führen und Sonderrechte für Großkonzerne schafft. Europa braucht im Gegenteil die Schaffung von Arbeitsplätzen mit guten Arbeitsverträgen und -bedingungen, die Verteidigung der sozialen Absicherung, mehr soziale Gerechtigkeit, nachhaltiges Wachstum sowie zukunftsorientierte Investitionen in Bildung, Forschung, Innovation und Infrastruktur.
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