Europäische Studien belegen: die meisten Menschen sind unzufrieden. Mit ihrem Job ebenso wie mit ihrer Freizeit beziehungsweise mit dem, was davon gefühlt übrig bleibt. Der Zeitgeist ist geprägt von der Ahnung, dass es nicht mehr lange so weitergehen kann. Mit dem Stress, der Kontrolle, der Konkurrenz, dem Leistungswahn …
" class="infobox_img" />Janina Strötgen
jstroetgen@tageblatt.lu
Der Schuldige ist schnell gefunden: der Kapitalismus, der zügellose natürlich, der wie ein Raubtier hinter jedem Einzelnen herjagt, der unsere Verschwendungssucht gnadenlos ausnutzt und der uns letztendlich unfrei macht in dieser sogenannten „Leistungsgesellschaft“. Ein schon an sich trügerischer Begriff, verspricht er doch jedem, der Leistung bringt, auch Erfolg. So als verdiene jeder das, was er leistet. Der Konzernchef gerne mal das Dreihundertfache des Lohnes seines Arbeiters. Die (ehrenamtliche) Altenpflegerin eine Urkunde und ein dankbares Lächeln.
Die Erkenntnis, dass Lohn und Arbeit oft recht wenig miteinander zu tun haben, ist nicht neu. Dennoch prägt das vermeintliche Versprechen der Leistungsgesellschaft unser sich hartnäckig haltendes Menschenbild: Wer finanziell nicht erfolgreich ist, hat wohl nicht sehr viel geleistet. Und ist selbst schuld, wenn er seine Konsumsucht nicht stillen kann, an den Rand der Gesellschaft rückt, Joghurts mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum kauft oder klaut und letztendlich selbst aussortiert wird.
Angst vor dem Unbekannten
Ein gewohntes, wenn auch krankes System zu verlassen, fällt schwer. Zu groß ist die Angst vor dem Fremden, dem Unbekannten. Und zu verlockend ‹de séchere Wee›. Beim Würstchenessen, Bäuchleinkraulen und Händchenschütteln auf der „Fouer“.
Doch es gibt sie, die Ideen für alternative Lebensformen und den Widerstand gegen den angeblich alternativlosen Kapitalismus. Tauschbörsen wie „Free Your Stuff“ oder Foodsharing- und Couchsurfing-Portale, die es in vielen großen Städten Europas bereits gibt, sind Beispiele aus der Zivilgesellschaft. Sie sind ein Zeichen des Widerstandes gegen die Verschwendungs- und Wegwerfmentalität und damit erste Kampfansagen an den sich aus Verschwendung nährenden Kapitalismus. Gleichzeitig stehen sie für gesellschaftliche Verantwortung und Solidarität. Für ein Zusammenleben mündiger und freier Bürger.
Damit solche Initiativen, bei denen sich bisher jeder herauspicken kann, was ihm genehm ist, nicht nur wie der berühmte Tropfen auf den heißen Stein wirken, ist jedoch ein radikal neues System nötig. Eine Alternative zum Kapitalismus. Ein Modell, in dem Geld nicht mehr die Hauptrolle spielt. Und damit dieser kühn anmutende Ansatz nicht gleich wieder als Träumerei einiger weltfremder Idealisten verworfen werden kann, bedarf es ausgereifter Überlegungen analytischer Denker und des Kalküls nüchterner Ökonomen.
Die Vorstellung eines Grundeinkommens, die beinhaltet, dass jeder Bürger vom Staat ein bedingungsloses Einkommen erhält, ist solch ein sozialpolitisches Alternativmodell, das den Sprung von der zündenden Idee eines Einzelnen bis hinein in europäische Wahlkampfdebatten und Bürgerinitiativen geschafft hat.
Tatsächlich zur Wahl stehen solche Alternativmodelle allerdings noch nicht. Nicht im Herbst und wohl auch nicht in fünf Jahren. Doch ein erster Schritt wäre, den vermeintlich sicheren Weg des Wohlbekannten zu verlassen und Alternativen zu denken.
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