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Lust zu lesen„Vorstadtprinz – Roman meiner Kindheit“ ist viel mehr als nur Spaß

Lust zu lesen / „Vorstadtprinz – Roman meiner Kindheit“ ist viel mehr als nur Spaß
Matthias Egersdörfer Foto: Stephan Minx

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Bekannt dürfte der Mann aus Sendungen in den dritten bundesdeutschen Fernsehprogrammen sein – wie er so dasteht auf der Brettlbühne in rotem Hemd und dunklem Lotteranzug, untersetzt, schmerbäuchig, mit wenig Haupthaar und viel zu breiten Koteletten, grollend mit der Welt und überhaupt. Wer Matthias Egersdörfer schon einmal gesehen hat, der weiß, dass früher oder später eine Brüllattacke zur Aufführung kommt, bei der immer zu befürchten ist, dass der Schreihals mit puterrotem Kopf umkippt und wiederbelebt werden muss. Aber der Kabarettist fällt nicht, denn die Ausraster sind wohl kalkuliert, sie unterstreichen sein Image des bärbeißigen Originals, dessen Komik beängstigend sein kann und dessen fränkisches Idiom sich zuweilen anhört, als wäre dem Sprecher urplötzlich die Zunge im Mund angeschwollen. Dass Egersdörfer auch Bücher veröffentlicht, ist nicht verwunderlich, denn das gehört schließlich zu den Pflichtübungen eines jeden halbwegs bekannten Spaßmachers im deutschsprachigen Kulturraum. Aber Matthias Egersdörfers „Vorstadtprinz“ überrascht dann doch, denn er geht über das Maß der üblichen Zweitverwertung weit hinaus und ist tatsächlich, wie der Untertitel „Roman meiner Kindheit“ behauptet, ein Buch, das die Lebenserinnerungen eines Menschen zum Thema hat, dessen Bekanntheit in krassem Gegensatz zu seiner Herkunft steht.

Die Rettung des Alltags vor der Banalität

Geboren wurde Matthias Egersdörfer in eine x-beliebige Familie in der Nähe von Nürnberg. Nichts, was er beschreibt, kann als außergewöhnlich an sich bezeichnet werden. Der Vater ist Handelsvertreter, die Mutter mit etwas gesegnet, das man zurzeit von Matthias Egersdörfers Geburt gerade noch „Atombusen“ nannte. Hinzu kommen eine abgöttisch geliebte Oma sowie die beiden deutlich älteren „schönen Schwestern“, deretwegen das Haus der Familie von jugendlichen Schwärmern umlagert wird, denen wiederum der kleine, dickliche Matthias manchmal im Weg stand wie ein „unangenehmer Gartenzwerg im Vorgarten der Sehnsucht“.

Neben der auch von seinen Bühnenauftritten bekannten manischen Liebe zum Detail fällt im Roman eine Zartheit, eine Empfindsamkeit auf, die Egersdörfers Groll auf die Welt zu tragen scheint, ihn erklärt und geradezu notwendig macht. Drecksleben! Ob in der Provinz oder in den Metropolen, ob im Rampenlicht oder an der Kasse bei Aldi: immer und alles muss man sich an Schönem selbst und ganz hart erarbeiten. Aber dann gibt es da noch Momente, völlig ohne Absicht, magisch, die dem Bub schon auffallen. Wenn man beispielsweise „einen geliebten Menschen, der einen im Leben begleitet, mit Blicken sucht, fühlt sich der Moment, in dem man seiner wieder ansichtig wird, an, als würde sich das Gehirn in seiner Schale aus seiner Verkrümpelung wieder selbst entfalten“. Neidlos wollen wir anerkennen, dass Matthias Egersdörfer bereits seit frühester Kindheit sehr tief vor sich hin gründelt! Was dann auch erklärt, weshalb seine Lebenserinnerungen nicht über das Erreichen der Hochschulreife hinauskommen bzw. mit Katharina, seiner ersten – wer mag sich wundern? – unglücklichen Jugendliebe enden und den geneigten Leser mit dem unstillbaren Wunsch nach „mehr!“ zurücklassen.

Infos

Matthias Egersdörfer: „Vorstadtprinz – Roman meiner Kindheit“
Rowohlt-Verlag, Berlin 2019. 320 S. 20 Euro