Herzlichen Dank: für Ihre unermüdliche Verbundenheit, für die neu gewonnenen Unterstützer – für unseren gemeinsamen Kampf gegen rechte Propagandavehikel und digitale Verschwörungsmaschinerien. Das Tageblatt erlebt eine bis vor kurzem unvorstellbare Solidaritätswelle: Warum dem so ist, hängt eng mit Luxemburgs Pandemiegeschehen zusammen.
Es könnte kaum ironischer sein: Das Jahr beginnt mit Impfdränglern und endet mit Profiteuren der Angst – Luxemburgs Rechtspopulisten. Sie haben Hass und Hetze den Weg geebnet, Corona-Leugner machtversessen angehimmelt und sich auf Kosten verunsicherter Menschen profiliert. Die Roy Redings dieser Welt überlassen Verschwörungsmythen ihren radikalen Anhängern und inszenieren sich als Schutzpatrone individueller Freiheit: ein drastischer Schwenk von „Law and order“ hin zur Destabilisierung der Staatsordnung. Dieser Kurswechsel hat System, diese Strategie fußt auf der internationalen Blaupause rechtsextremer Bewegungen: Die ADR trägt zur Gewaltbereitschaft gegen Presse, Politik und Polizei bei. Ihre Taktik: „Querdenker light“ à la luxembourgeoise, Ausländer- und Wissenschaftsfeindlichkeit unter dem Deckmantel biedermännischer Bürgernähe.
Sie kanalisieren die Wut der Unzufriedenen, aus Skepsis gegenüber Corona-Maßnahmen und Impfung wird Misstrauen gegenüber demokratischen Institutionen geschürt. Nicht unschuldig daran sind die Ereignisse Anfang des Jahres. Der gemeinsame Nenner zwischen Impfdränglern und Rechtspopulisten: blanker politischer Zynismus. Als sich der Frust über Loulou Schiltz entlädt, verändert sich zum ersten Mal etwas Grundlegendes in Luxemburg: Tiefe Trennlinien brechen in unserer Gesellschaft auf, ein ungeheures Ungerechtigkeitsgefühl entsteht. Der Unterschied zur gegenwärtigen Situation: Frust staut sich innerhalb der eher homogenen Gruppe der Impfwilligen auf. Heute ist die Situation eine andere: Das Trennende zieht sich durch Familien, Flirts und Freundeskreise. Die Fronten sind verhärtet, die Radikalisierung vollzogen – ADR sei Dank.
Dass sich Ungeimpfte und Geimpfte nun unversöhnlich gegenüberstehen, hat zwar viel, aber nicht nur mit Rechtspopulisten zu tun. Ein nicht unwesentlicher Bestandteil der Wahrheit ist nämlich, dass auch Exekutive und Legislative in einem geringeren Maße dazu beigetragen haben, das Vertrauen in die Politik zu schwächen: Der armselige Umgang mit der Situation in den Pflege- und Altersheimen, unwürdige Parlamentsdebatten, Zögern und Zaudern à gogo, Doppelstandards und persönliche Skandälchen ebneten „besorgten Bürgern“, Schwurblern und politischen Opportunisten den Weg.
Hätte diese gesellschaftliche Katastrophe mit Ankündigung also vermieden werden können? Oder handelt es sich um das oft beklagte „duerno ass een ëmmer méi schlau“? Die Antwort dürfte der Regierung missfallen.
Denn im Sommer 2021 gab es einen klugen Vorstoß. Er kam nicht von den Regierenden, Impfbefürwortern oder Impfgegnern, sondern von vorderster Front: dem Krankenhausverband FHL. Wenn sich die Regierung mit einer Impfpflicht schwertue, könne sie das heiße Eisen Impfpflicht doch an die Nationale Ethikkommission weiterreichen – so wie bislang, wenn unliebsame Entscheidungen zu fällen waren. – Was aber geschah? Nichts. Der Sommer 2020 wiederholte sich, ebenso wie des Virologen Christian Drosten sinngemäße Bauernregel: Sind die Inzidenzen niedrig und das Wetter toll, wirken politische Entscheidungen grauenvoll.
Aber, und das richtet sich an euch, die zivilisierten Impfskeptiker – gemeint sind nicht Nazis, Verschwörungstheoretiker, Hassprediger, Opportunisten und Ultralibertäre, nein, gemeint sind die vielen Zögerlichen, die sich bislang an der Kritik an der Regierungskommunikation und an anderen Allgemeinplätzen festhielten: Ihr könnt euch nicht mehr aus der Verantwortung stehlen. Ja, nicht jeder von euch soll mit oben genannten Gesellen in einen Topf geworfen werden. Aber: Selbst wenn ihr friedlich zu Hause im stillen Kämmerlein Scheinargumente und Desinformation von Dr. Benoît Ochs, Bas Schagen und Sacha Borsellini teilt, macht ihr euch mitschuldig. Euer falsch verstandener Anti-Mainstream wirft nämlich genauso alles und jeden in einen Topf: Politiker, Journalisten und öffentliche Personen werden zur Verschwörung der Volksverräter verkocht. Der explizite Vorwurf: Minderheiten zu unterdrücken, stets nur eine Seite zu hören und der breiten Mehrheit Schlechtes zu wollen.
Wer aber wissenschaftliche Argumente ignoriert und Emotionen für seine Impfskepsis ins Feld führt, ist zwar nicht automatisch ein Schwurbler – doch die Nähe zu verschwörungsgläubigen Menschen und Rechten umso unausweichlicher. Versucht, eure Emotionen mit Informationen zu verknüpfen, gebt euch die Chance einer evidenzbasierten Entscheidungsfindung. Es ist noch nicht zu spät, ihr könnt der „Versunkene-Kosten-Falle“ entkommen. Gemeint ist das Phänomen, an Entscheidungen oder Denkweisen festzuhalten, weil ein sehr hohes Anfangsinvestment getätigt wurde – und es deswegen kein Zurück mehr gibt. Wenn ihr lange und lautstark Verschwörungstheoretikern auf den Leim gegangen seid, müsst ihr euch nicht schämen. Im Gegenteil: Wir feiern euch und euren Mut dafür, Ängste und Skepsis lieber spät als nie zu überwinden.
Solltet ihr aber weiterhin gutheißen, dass Schwurbler und Rechtsextreme das Tageblatt unter Druck setzen, Extremisten Weihnachtsmärkte stürmen und der braune Mob Politikerhäuser belagert, gibt es tatsächlich kein Zurück mehr.
Eine Frage, die Impfskeptiker uns immer wieder stellen: Warum berichtet ihr so gnadenlos über die Schwurbelszene? Warum visiert ihr unsere Wortführer an? – Die Antwort: Weil wir genau das tun, wofür eure Vorbilder angeblich „liberté“ schreien – Luxemburgs Freiheit mit spitzer Feder gegen scharfe Zungen verteidigen.
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