Es gibt Menschen, die das Rampenlicht brauchen. Menschen, die im Mittelpunkt stehen und es genießen. Romain Gastauer gehört nicht zu diesen Leuten – nein, ganz im Gegenteil. Beim Gespräch mit dem Tageblatt spricht er über seinen Werdegang und wie er es schaffte, sich in den Profisport einzuarbeiten. Doch dass er maßgeblich Anteil daran hat, dass zwei Luxemburger den Sprung in die WorldTour schafften, versucht er zu verschweigen. Erst am Ende des Gesprächs schaltet sich seine Frau Yvette ein. „Im ‚Vëlosclub’ in Schifflingen hat es angefangen“, sagt sie. „Die Kinder haben ihn da schon angehimmelt. So ging es immer weiter. Seine Schützlinge haben ihm alle gefolgt. Auf seine Art hat er sie in seinen Bann gezogen.“ Gastauer verschränkt die Arme, fasst sich dann an die Stirn – es wirkt, als seien ihm die anerkennenden Worte seiner Frau unangenehm. „Sie lobt mich zu viel“, sagt er schmunzelnd. „Das habe ich nicht gerne.“
Gastauer war schon immer sportbegeistert – in seiner Jugend spielte er Fußball, Volleyball oder fuhr Skilanglauf. Doch den Radsport entdeckte er erst so richtig mit seinem Sohn, Ben. Er fuhr mit ihm Randonnées, rutschte dann aufgrund einer Krankheit eines Trainers in den Trainerstab der Minimes des LP 07 Schifflingen. Er machte eine Ausbildung für Trainer in Luxemburg und versuchte seitdem, „an Bens Niveau dranzubleiben, was das Training anging“, wie er selbst erklärt. Von da an galt für Gastauer Senior: Bücher lesen, sich im Internet über Trainingsmethoden informieren – bis tief in die Nacht. „Sobald neue Trainingsmethoden publiziert wurden, hat er sich das durchgelesen“, sagt seine Frau. „Auf Englisch, auf Französisch oder auf Deutsch. Er war selten vor ein Uhr im Bett.“
Glück im Stau
Das Potenzial seines Sohnes zeigte sich dann vor allem bei den Débutants. Nach internationalen Erfolgen erinnert er sich daran, dass plötzlich vermehrt sein Telefon klingelte – am anderen Ende meldeten sich Agenten, die Interesse an Ben zeigten. „Für uns war das eine fremde Welt“, lächelt Gastauer. „Wir haben ihm jedoch von Anfang an gesagt, dass er seine Schulausbildung in der Tasche haben muss, bevor wir an was anderes denken.“ Nach seinem erfolgreichen Abschluss konzentrierte sich Ben auf den Radsport – mit seinem Vater als Trainer.
In seinem zweiten Jahr bei den Junioren erreichte Ben bei der Classique des Alpes, „dem vielleicht schwersten Rennen in der Altersklasse“, wie Romain Gastauer sagt, den zweiten Platz. Auf der Heimreise stand das Duo im Stau, als ein Mann mit den Klassements an ihnen vorbeiging. Nachdem sich Romain eins nahm, lehnte er zunächst ab, sich mitnehmen zu lassen. „Als wir ihn auf dem Weg hinunter noch ein paar mal kreuzten, entschied er sich, doch mitzukommen. Im Auto sagte er dann, dass er der Verantwortliche des ‚Centre de Formation’ von Ag2r sei. So ergab sich der Kontakt zu der Mannschaft“, erklärt Romain. Im Jahr 2021 lässt sich also festhalten: durch einen Stau ist die besondere Beziehung zwischen Ben Gastauer und Ag2r entstanden.
Ben wurde damals im Nachwuchszentrum des französischen Teams aufgenommen, Romain lernte die Trainer der Mannschaft kennen. „Sie haben mir geholfen und haben mir viel Neues beigebracht. Ich wollte meinen Fahrern immer das Bestmögliche mitgeben. Mein Ziel war es immer, bei weniger Trainingszeit effizient mit den Fahrern zu arbeiten. Das wollte ich mit dem wattgesteuerten Training erreichen.” Romain Gastauer, der bis zu seiner Rente bei der Post arbeitete, hat einen intensiven Austausch zu seinen Schützlingen gelebt. „Ich habe alle Daten, die im Training erkannt wurden, erfasst. Ob der Sportler eine Freundin hatte oder nicht, ob er abends ausging oder nicht, das hat mich nicht interessiert. Ich habe ihnen gesagt, dass es nicht gut ist, vor den Rennen ‚rauszegoen’. Aber ihr Privatleben geht mich nichts an.“
„Walk and Talk“
Wichtig war ihm dabei immer, dass das Verhältnis zu seinen Sportlern stimmte. In wenigen Jahren hatte er sich als Trainer einen besonderen Ruf in Luxemburg erarbeitet. Gastauer zählte unter anderem Kevin Geniets, Claire Faber, Elise Maes oder Nathalie Lamborelle zu seinen Schützlingen. Wichtig für Gastauer war es immer, seinen Sportlern die Daten aus den Trainings oder Rennen vernünftig zu erklären – so, dass sie es verstanden. Aus diesen Gesprächen ist zwischen Gastauer und Kevin Geniets das „Walk and Talk“ entstanden. „Es war immer montags“, erinnert sich Gastauer. „Wir sind spazieren gegangen und haben alles, was in der vorherigen Woche passiert ist, Revue passieren lassen.“
Geniets selbst erinnert sich gut an die wöchentlichen Spaziergänge. „Wir haben über alles diskutiert“, sagt er. „Es waren immer interessante und ehrliche Gespräche. Das hat mich sehr weitergebracht.“ Gastauer trainierte Geniets von den Minimes an, bis er ins Trainingszentrum nach Chambéry ging. Als Geniets dann ein schwaches Jahr gehabt hatte und nicht mehr Teil der Mannschaft war, dachte er ans Aufhören. „Romain war ein sehr persönlicher Trainer. Ich bin mit ihm durch sehr gute, aber auch durch sehr schwere Zeiten gegangen. Ich weiß nicht, ob ich nicht damals mit dem Radsport aufgehört hätte, wenn er nicht da gewesen wäre.“ Gastauer übernahm Geniets, nachdem er nicht mehr in Chambéry war, wieder als Trainer – bis er zu Groupama-FDJ ging. „Ich verdanke ihm sehr viel. Nicht nur auf dem Rad. Er war und ist noch immer sehr wichtig für mich“, sagt Geniets.
Kontakt zur FSCL wollte Gastauer dabei nicht aufnehmen. „Ich habe nicht die nötigen Diplome. Außerdem bin ich nicht auf ihrer Wellenlänge. Sie arbeiten mit alten Methoden. Denen der 90er Jahre. Das basiert auf Herzfrequenz. Wir haben heute die Möglichkeit, ganz andere Daten anzusehen – damit kann man sich schneller entwickeln.“
Keine Trainer-Sohn-Probleme
Bis 2017 trainierte Romain seinen Sohn noch – seitdem mussten Trainer beim Verband gemeldet sein. Das wollte Gastauer nicht. „Außerdem dachte ich mir, dass es für Ben gut wäre, wenn er mal andere Seiten kennenlernt.“ Probleme im Vater-Sohn-Trainerverhältnis gab es dabei nie. „Er sagte zwar zu mir, dass ich zu ihm immer viel strenger sei, aber bei uns hat das geklappt.“
Geld hat Gastauer durch seinen Trainerjob nie verdient – dafür aber Erinnerungen mitgenommen, die ihm umso wichtiger sind. „Kevin (Geniets) hat mal in einem Interview bei Eurosport gesagt, dass Ben sein Idol sei und er von seinem Vater trainiert wird. So etwas ist schön zu hören. Manchmal schenken sie mir auch ihre Trikots, oder Elise (Maes) bringt mir ihre Blumen. Die Chemie zwischen Fahrer und Trainer muss stimmen – der Rest ist nicht so wichtig.“
Gastauer, der auf die 70 Jahre zugeht, nimmt keine neuen Fahrer mehr unter seine Fittiche. Aktuell arbeitet er noch mit Ken Conter und Mats Berns. Der 16-jährige Berns gehe in dieselbe Richtung wie Geniets und sein Sohn, meint Romain Gastauer. Doch auch wenn er seine Trainertätigkeit zurückschraubt, ist sein Rat in Luxemburg immer noch gefragt. Vor einigen Monaten rief Niels Michotte bei ihm an, um sich über die Arbeit von Ag2r zu erkundigen – weil ihm ein Angebot des Teams vorlag. Gastauer riet dem Nachwuchssportler zu diesem Schritt, Michotte folgte und unterschrieb in Chambéry.
Die Zeit vor dem PC ist nicht mehr so intensiv wie früher. Romain Gastauer genießt das Leben nun auch mit seinen Enkelkindern. An dem Tag, an dem das Tageblatt Familie Gastauer in Schifflingen besuchte, waren auch Siena und Sydney, die Kinder von Ben, bei ihren Großeltern zu Besuch. Ein etwas müder Sydney empfand das Gespräch nicht ganz so spannend. Doch wenn sein Großvater ihm in ein paar Jahren seine Anekdoten erzählt, wird er sicherlich nicht mehr einschlafen – sondern ihm gespannt zuhören und gegebenenfalls auch nach seinen Ratschlägen fragen.
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