Eigentlich hatte man sich in der luxemburgischen Rad-Szene schon damit abgefunden, in diesem Jahr erstmals seit langer Zeit keine Mannschaft zu haben, die auf UCI-Niveau fahren würde. Leopard TOGT hat seinen Sitz nach Dänemark verlegt, Andy Schleck – CP NVST – Immo Losch hat sein Team bekanntlich aufgelöst. Umso überraschender schien die Meldung, dass es in diesem Jahr doch ein Continental-Team bei den Damen aus dem Großherzogtum geben sollte: das Hess Cycling Team. Doch wo kommt die Mannschaft her und wer steckt dahinter?
Die Hess Group International ist eine Firma mit Sitz in London, die sich seit 2004 weltweit hauptsächlich mit den Ressourcen Wasser, Öl und Gas beschäftigte. Seit einigen Jahren engagiert sich die Firma aber auch in den Bereichen Damen-Bekleidung, Skincare oder Parfüm. Der Gründer des Unternehmens, Rolf Hess, hat sich dabei immer für den Sport interessiert – und vor allem für das Radfahren. Vor etwa zwei Jahren lernte er Pirmin Lang, einen ehemaligen Profi-Radsportler, kennen. Die beiden Schweizer begannen Gespräche über eine Radsport-Mannschaft zu führen. Richtig konkret wurde es im vergangenen September.
„Es war erst nicht explizit angedacht, den Sitz in Luxemburg anzumelden. Wir hatten verschiedene Optionen. Rolf hat Geschäftsfelder in Luxemburg und ich war dort an verschiedenen Rennen tätig. Ich kenne zudem den Verband durch Fränk Schleck und Florian Salzinger. Es gab kein richtiges Team mehr in Luxemburg. Deswegen hat das alles so gepasst“, erklärt Lang. Das Team existierte länger als es schon bekannt ist, erklärt der Schweizer. Eine spanische Marketing-Agentur, mit der das Team zusammenarbeitet, riet allerdings, die Bekanntmachung erst im April zu vollziehen.
Drei Fahrerinnen aus Luxemburg
Zehn Fahrerinnen befinden sich aktuell im Team: Mit Liv Wenzel (19), Layla (18) und Maïté Barthels (23) befinden sich drei Luxemburgerinnen in der Mannschaft. Komplettiert wird der Kader von jeweils einer Österreicherin, einer Schweizerin, einer Israelin, einer Britin, einer Spanierin, einer Französin und einer Neuseeländerin. „Wir wollen der Philosophie der Hess Group International nachgehen und ein internationales Team sein“, sagt der Schweizer. „Wir sind eigentlich ein Start-up. Wir bauen das Team von Grund auf und wollen weit kommen. Das Ziel ist es, irgendwann in der WorldTour zu fahren. Aber wir sagen jetzt nicht, dass wir in zwei Jahren schon bei der Tour de France dabei sein wollen.“
Von den zehn Fahrerinnen sind lediglich zwei dabei, die nicht mehr in der U23 fahren dürfen. „Mit den jungen Athletinnen können wir zusammen wachsen. Wenn man jung ist, ist man noch nicht so eingefahren“, erklärt Lang. Aktuell steht bei der UCI zur Debatte, genau wie bei den Herren, eine 3. Liga bei den Damen einzuführen. Während es bei den Männern aktuell WorldTeams, ProTeams und Continental Teams gibt, wird bei den Damen nur zwischen WorldTeams und Cotinental Teams unterschieden.
Der Kontakt zu den drei Luxemburgerinnen ist über Fränk Schleck entstanden. „Ich kannte sie bereits, da ich auch Cyclocross verfolge, wo sie alle tätig sind. Ich habe geschaut, was auf dem luxemburgischen Markt vorhanden ist. Es ist nicht so, dass es einen Pool von Hundert Fahrerinnen gibt. Ich wusste schnell, dass Marie Schreiber einen anderen Kontakt hatte, deswegen war sie nie ein Thema. Alle drei Luxemburgerinnen haben das Potenzial, sich zu steigern. Da möchten wir ihnen unsere Unterstützung anbieten.“
Lang und seine Doping-Vergangenheit
Als Sportlicher Leiter fungiert der Franzose Luc Soenen. Der 28-Jährige gewann als Sportlicher Leiter bei VC Morteau bereits die Coupe de France und kommt von der französischen Damen-Kontinentalmannschaft Stade Rochelais Charente-Maritime. „Er ist jung, motiviert und pflegt einen engen Kontakt zu Athleten. Neben ihm haben wir eine normale Palette an Mitarbeitern, wie Mechaniker und Physiotherapeuten. Wir haben auch einen Performance-Coach, der noch tiefer in die Datenanalyse gehen kann.“
Lang, der zwei Jahre (2015, 2016) in der WorldTour für IAM Cycling fuhr, agiert als Manager des Teams mit Sitz in Luxemburg. Der 38-Jährige legte im Februar 2020, drei Jahre nach seiner aktiven Karriere, ein öffentliches Dopinggeständnis ab und teilte mit, dass er Teil des „Aderlass-Netzwerkes“ von Mark Schmidt gewesen sei. Gegenüber Antidoping Schweiz bestätigte er die Beschaffung, Anwendung und den Besitz verbotener Substanzen. Er habe Eigenblutdoping in mehreren Fällen betrieben sowie Lieferanten für Dopingmittel vermittelt. Weil Lang ein vollumfängliches Geständnis abgelegt und kooperiert hatte, wurde seine Strafe von 48 auf 18 Monate reduziert – möglich macht dies die sogenannte „Kronzeugenregelung“, die eine Strafmilderung mitbringt, wenn Dopingsünder den Ermittlern Informationen über Hintermänner und kriminelle Netzwerke liefern.
Nach seiner aktiven Karriere und noch vor seinem Dopinggeständnis baute Lang die Swiss Racing Academy auf – die Mannschaft, die heute als Tudor Pro Cycling bekannt ist und für die Arthur Kluckers und Luc Wirtgen fahren. Das Team fuhr ab 2019 erstmals als Continental Team. Nach seinem Dopinggeständnis im Februar 2020 verließ er das Team. „Die Idee war es, die Athleten vor dem zu schützen, was ich getan habe. Sie sollen nicht diese Kontakte bekommen, dass es in diese Richtung geht. Es kam der Moment, an dem ich dachte, dass ich das Team übergeben muss, um die Athleten zu schützen“, erklärt Lang, der auch mit der WADA zusammenarbeitet.
Erstes Rennen am Freitag
Die ganze „Doping-Geschichte“, wie Lang selbst sagt, sei immer Thema Nummer eins, wenn er mit Athleten in Kontakt trete. „Die Sportler müssen verstehen, dass ich das getan habe, weil es sonst keinen Sinn ergibt. Sie müssen aber auch verstehen, dass ich mit Anti-Doping-Behörden zusammenarbeite, damit niemand da reinrutscht. Bei mir kam ein Punkt in meiner Karriere, an dem ich mich für links oder rechts entscheiden musste. Sobald man diese Entscheidung fällen muss, ist es schwierig, das Richtige zu tun. Manchmal ist der Teufel interessant – aber das probieren wir zu verhindern.“
Lange möchte er jedoch nicht über seine Doping-Vergangenheit sprechen, sondern sich eher auf das konzentrieren, was nun kommt. Das erste offizielle Rennen des Teams findet am Sonntag beim Grand Prix féminin de Chambéry (1.1) statt. Auf eine Teilnahme beim Festival Elsy Jacobs, das am 29. und 30. April stattfindet, verzichtet das Team, um dem luxemburgischen Verband die Chance zu geben, auf die drei Fahrerinnen aus dem Team zurückzugreifen. „Im Hinblick auf Olympia 2024 möchte der luxemburgische Verband Punkte sammeln. Das respektieren wir und versuchen, sie dafür zu unterstützen.“
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