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Die Tour in DänemarkWarum es dänische Radsportler vermehrt nach Luxemburg zieht

Die Tour in Dänemark / Warum es dänische Radsportler vermehrt nach Luxemburg zieht
Søren Nissen ist von Dänemark nach Luxemburg gekommen, um seine Karriere zu lancieren – seit 2018 ist er Luxemburger Foto: Michael Chiaretta | Swiss Epic

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Es war der nördlichste Start, der jemals bei der Tour de France erfolgte: Am Freitag begann die 109. „Grande Boucle“ in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Zum Auftakt in Skandinavien erklärt Mountainbiker Søren Nissen, warum es so viele dänische Radsportler ins Großherzogtum zog. Nissen selbst wurde in Dänemark geboren und kam wegen des Radsports nach Luxemburg – damit ging er einen ähnlichen Weg wie Bjarne Riis, Jakob Fuglsang oder Michael Mørkøv. 

Als am Freitag die Tour de France um 16.00 Uhr mit dem Einzelzeitfahren in Kopenhagen startete, saß Søren Nissen nicht gespannt vor dem Fernseher. „Gott sei Dank interessiert mich die Tour nicht mehr so sehr wie früher“, erklärt Nissen. Zu weh habe es ihm getan, den Sprung in den großen Zirkus des Straßenradsports verpasst zu haben. „Der Radsport und die Tour haben alles in meinem Leben ausgemacht. Ich habe mit zwölf Jahren mit dem Radsport angefangen und alles dafür gegeben, um Profi zu werden. Leider hat es nicht gereicht.“

Wie viele andere Dänen wollte auch Nissen seine Karriere in Luxemburg so richtig in Schwung bringen. 2006 wagte er den Sprung ins Großherzogtum. Zwei Saisons fuhr er für das Team von Gabriel Gatti, den CCI Differdingen. Bereits vor ihm lockte der ACC Contern viele Dänen an. Doch warum kamen die Radsportler aus Skandinavien nach Luxemburg?

Anfang der 1980er-Jahre hatten die Verantwortlichen des ACC Contern unter der Leitung von Marcel Gilles eine starke internationale Mannschaft zusammengestellt. Neben englischen, deutschen, australischen, niederländischen oder luxemburgischen Fahrern waren auch mehrere Dänen im Kader. 1978 kamen dann unter anderem Kim Andersen (Sieger der Flèche Wallonne 1984) oder Per Sandahl nach Contern. 

Im Laufe der Zeit sprach es sich in Dänemark herum, dass Luxemburg optimale Bedingungen bieten würde. So waren auch Bjaarne Riis, Tour-de-France-Sieger 1996, von 1985 bis 1988 oder Per Pedersen (sieben Grand-Tour-Teilnahmen) von 1984 bis 1990 beim ACC Contern lizenziert. Auch in der jüngeren Vergangenheit hatten sich Dänen Contern angeschlossen. Jakob Fuglsang war von 2011 bis 2015 beim Klub lizenziert, und auch Matthi Breschel sowie Michael Mørkøv, der bei der diesjährigen Tour für Quick-Step Alpha Vinyl starten wird, hatten sich dem Verein angeschlossen. 

Fuglsang, Breschel und Mørkøv lizenzierten sich allerdings nicht in Contern, um ihre Karriere zu starten. Fuglsang beispielsweise war 2011 bereits seit zwei Jahren Teil der WorldTour, wechselte aber zu Beginn des Jahres 2011 zu Leopard Trek nach Luxemburg. Er ließ sich beim ACC Contern, für den zu dem Zeitpunkt auch seine Teamkollegen Andy und Fränk Schleck sowie Martin Mortensen fuhren, lizenzieren. Fuglsang dessen Wohnsitz momentan in Monaco liegt, lebte in Luxemburg, hat eine luxemburgische Ehefrau und beherrscht Luxemburgisch perfekt. 

Fehlendes Karrieresprungbrett

„Früher gab es in Dänemark keine Kontinentalmannschaft“, erklärt Nissen. „Entweder fuhrst du Elite oder gar nicht. Es gab kein Sprungbrett, wie heute Leopard hier in Luxemburg. Wir Dänen suchten also andere ausländische Mannschaften.“ Luxemburg habe für eine Karriere im Radsport optimale Bedingungen geboten, sagt der 37-Jährige. „In Dänemark musst du ein ganz harter Hund sein, wenn du im Winter trainieren möchtest. Das Wetter ist von Anfang September bis Ende April eine Katastrophe. Es gibt nur Sturm und Regen. Die Leute in Luxemburg sagen zwar, dass es hier auch schlimm sei, doch für mich ist es das Paradies. Es regnet nur selten einen ganzen Tag, es gibt nicht viel Schnee und Wind.“

Doch nicht nur die Meteorologie, sondern auch die geografische Lage lockte die Dänen nach Luxemburg. „Es liegt zentral vom Geschehen. Belgien, Niederlande oder Frankreich sind nicht weit. Du bist schnell am Flughafen Findel und auch am Flughafen Frankfurt-Hahn ist man schnell. Außerdem ist Paris nicht weit weg.“ Zudem habe auch die Sprachbarriere in anderen Ländern den Dänen Probleme bereitet. „Wir haben in der Schule hauptsächlich Englisch, ganz wenig Deutsch gelernt“, sagt Nissen. „In Frankreich oder Italien ist Englisch schwierig. In Luxemburg ist es okay, mit der Zeit kommt Französisch oder Deutsch dann fast von alleine.“ 

Heutzutage seien die Bedingungen in Dänemark besser, weiß Nissen. Aktuell gibt es mit BHS-PL Beton Bornholm, Restaurant Suri-Carl Ras, Riwal Cycling Team und ColoQuick vier Kontinentalmannschaften. „Die Jugendarbeit ist viel professioneller geworden. Das hat sich aber erst in den letzten 7-8 Jahren geändert.“ Die Arbeit trägt Früchte: Mit Mads Pedersen startet der Weltmeister von 2019 bei der Tour und mit Jonas Vingegaard der Zweitplatzierte der letztjährigen Rundfahrt. 

Erfülltes Leben in Luxemburg

Nissen hat den Sprung in den großen Radsport verpasst. Das gesteht er unmissverständlich ein. „Nach dem Sieg von Bjaarne Riis bei der Tour 1996 wollte ich nur noch Profi werden. Ich habe alles darauf gesetzt. Ich hatte Talent, habe auch einige Rennen gewonnen, aber es war nicht genug.“ Nach zwei Jahren in Differdingen fuhr er drei Jahre in Italien. „Ich bekam ein Gehalt, mit dem man in Luxemburg nicht leben konnte. Ich musste also was anderes machen. Zwar dachte ich schon, dass mit dem Radsport Schluss sei, doch dann kam das Mountainbike – und das hat gut geklappt.“ 

Aktuell ist er beim VC Diekirch lizenziert und fährt für Stevens Bikes. Weil Nissen seinen Wohnsitz seit 2006 in Luxemburg hat, entschied er sich 2018 dafür, die luxemburgische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Der Mountainbiker wurde dann auch in den COSL-Elitekader aufgenommen und trägt beim Mountainbike seitdem das Trikot des Landesmeisters – auch im Cyclocross durfte er sich dieses Trikot bereits überstreifen. Er wohnt in Bettendorf und hat mit seiner luxemburgischen Frau einen eineinhalbjährigen Sohn. „Ich fühle mich fast wie ein ganzer Luxemburger“, sagt Nissen, dessen Familie in Dänemark wohnt. 

Auch wenn Nissen seine großen sportlichen Ziele verpasst hat, bleibt festzuhalten: Seine Entscheidung, nach Luxemburg zu ziehen, war die richtige. Und das nicht nur, weil der Radsport einen hohen Stellenwert im Land hat. „Wenn die Leute mir begegnen, dann sprechen sie mit mir über meine Rennen. Das wäre in Dänemark nicht der Fall gewesen – früher zumindest nicht. Ich habe von Anfang an gemerkt, wie radsportverrückt Luxemburg ist.“ Dass die Entscheidung, in Luxemburg zu leben, die richtige war, merkt man vor allem an einer Aussage: „Ich fühle mich sehr wohl in Luxemburg und finde es wunderschön hier.“ 

Riis nicht zum Tour-Start in Kopenhagen eingeladen

Der frühere dänische Radstar Bjarne Riis ist enttäuscht, nicht zum diesjährigen Start der Tour de France in Kopenhagen eingeladen worden zu sein. „Ich bin natürlich verärgert darüber, nicht dabei zu sein. Darauf hatte ich gehofft“, sagte der Tour-de-France-Sieger von 1996 dem dänischen Sender TV2 Sport. „Leider soll es nicht so sein. That’s life. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“

Die Organisatoren verwiesen in einer E-Mail an den Sender darauf, dass man priorisiert habe, offizielle Repräsentanten wie Bürgermeister, Regierungsmitglieder und Königshausvertreter statt dänische Athleten zu den Tour-Veranstaltungen einzuladen.

Als bislang einziger skandinavischer Radprofi hatte der heute 58 Jahre alte Riis die Tour 1996 für das Team Telekom gewonnen. Damals galt er in Dänemark als Sportheld. 2007 hatte er Doping eingeräumt.
Die Tour-Führung hatte er damals mit den Sätzen schockiert, sein Gelbes Trikot liege daheim in einem Pappkarton in der Garage, die Organisatoren könnten es dort gerne abholen. Nach TV2-Angaben hat er sich vor zwei Jahren bei Tour-Direktor Christian Prudhomme per SMS für diesen Kommentar entschuldigt.

Im Überlick

Beim ACC Contern lizenzierte Dänen:
Jens Andersen (1982), John Andersen (1981), Kim Andersen (1978-89), Lars Bak (2016-19 + CCI Differdingen), Matti Breschel (2017), Kim Eriksen (1985-87), Jakob Fuglsang (2011, 2012, 2014, 2015), Niels-Ole Hald (1980,83), Frank Hansen (1980), Torben Hansen (1982), Lars Johannessen (1987), Arne Jorgensen (1983, 84), Jonas Jörgensen (2012, 13), Kasper Klostergaard (2012, 2014), Ove Kristensen (1987), Henning Kristiansen (1982), Kim Kronborg (1986, 87), Hans-Jörgen Madsen (1979), James Möller (1982), Michael Mørkøv  (2012, 13), Martin Mortensen (2011, 2012, 2014, 2015) Alex Pedersen (1989), Per Pedersen (1984-90), Sören Petersen (1987), Bjarne Riis (1985-88), Per Sandahl (1978, 1980-1983), Jesper Skibby (1985)