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KinoVon Faszination und ironischer Distanz geprägt

Kino / Von Faszination und ironischer Distanz geprägt
Hauptdarsteller Joaquin Phoenix in „Napoleon“ von Ridley Scott

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Dass ausgerechnet der französische Militärgeneral Napoléon Bonaparte, der sich selbst zum Kaiser ernannte, das Filmschaffen so sehr fasziniert, mag verwundern – rund zwanzigmal wurde die historische Persönlichkeit für den Film adaptiert. Immer sind diese Adaptionen von Superlativen gekennzeichnet: Da gibt es die Stummfilm-Version von Abel Gance, episch erzählt, prächtig in der Ausstattung, oder noch „Waterloo“ von Sergey Bondarchuk aus dem Jahr 1970, der sich auf die letzte vernichtende Schlacht des Generals konzentriert. Stanley Kubricks ambitioniertes Projekt etwa wurde nie fertiggestellt. Die Ansprüche, das Leben Napoléon Bonapartes auf die Leinwand zu bringen, sind seit jeher ein erzählerisch gewagtes und kostspieliges Unterfangen.

So auch die neueste Aneignung durch den britischen Regisseur Ridley Scott, der sich besonders durch große Historienepen in Hollywood einen Namen gemacht hat. Dabei ist der Film für Ridley Scott nicht die erste Erkundung der napoleonischen Zeit: Bereits in seinem Regiedebüt „The Duellists“ (1977) erzählte er in prächtigen Kostüm- und Landschaftsaufnahmen vom Frankreich unter der Herrschaft Napoléons. Über einen Zeitraum von mehreren Jahren, bis zur Vernichtung des französischen Heeres in Russland, schilderte Scott darin die zunehmende Anfeindung zweier Soldaten des französischen Heeres – die napoleonischen Kriege blieben in diesem minimalistischen Setting des immer neu ausgetragenen Zweikampfs und dem finalen Showdown zweier Kontrahenten mehr rahmende Hintergrundfolie.

Nun aber kann Scott in „Napoleon“ aus den Vollen schöpfen. Sein Film geizt nicht an überwältigenden Bildern, die die digitalen Abbildungen heute ermöglichen: Die Schlachtengemälde entfalten ihre actiongeladenen Schauwerte, für die Scott bekannt ist, da ist der Film ganz bei sich. So opulent und bildgewaltig die Schlachtengemälde sind, so dürftig und unterentwickelt bleiben die historischen Rahmungen. Die Frage, inwieweit dieses Napoléon-Bild mit der Historie in Einklang steht, ist so müßig, wie es nachgerade albern wäre, von einem Spielfilm die „wahre“ Geschichtsschreibung zu erwarten.

Im Modus des Zeitraffers

Von einem ausgewiesenen Filmemacher wie Ridley Scott darf man aber annehmen, dass er aus diesem Stoff ein sehenswertes, eindrückliches Kinoereignis schaffen würde. Dass es das nicht geworden ist, liegt an der Drehbuchkonzeption von David Scarpa und am finalen Schnitt. Dabei passt das Aufsteiger-Narrativ zunächst ganz in Scotts Erzählrepertoire. Das Problem von Ridley Scotts „Napoleon“ ist nicht, dass er nicht bemüht wäre, die Größe dieser historischen Persönlichkeit einzufangen – vielmehr missversteht er es, ein gesamtes, schlüssiges Bild aufzubereiten; um kontextuelle Einordnungen ist er ohnehin nicht bemüht. Scotts Film ist geprägt von Faszination und ironischer Distanz. Napoléon ist der taktisch begabte General, aber der dilettantische Staatsmann; ein brillanter Militärstratege, der indes kein Geschick für staatstragende Angelegenheiten besitzt, jemand, der sich nicht recht auf dem höfischen Parkett zu bewegen weiß.

Er liest die Militärkarriere Napoléons parallel zu dessen Beziehung zu seiner Frau Joséphine de Beauharnais (Vanessa Kirby) – und trotz seiner fast dreistündigen Laufzeit wirkt der Film ungemein schnell erzählt. Ohne Ausschweifungen, ohne Sinn für narrative Entfaltung werden hier im Eiltempo bedeutende Stationen im Leben Bonapartes, wie der Staatsstreich von 1799, die Krönung zum Kaiser 1804 oder noch die Verbannung auf St. Helena 1815, unvermittelt abgehandelt. Das mag man ansatzweise als konzeptuelle Formung lesen, Scott überträgt den rasanten Aufstieg dieses Mannes in nur wenigen Jahren zum Eroberer Europas im Modus des Zeitraffers, dabei merkt man dem Film seine Kürzungen dennoch deutlich an – auf dem Streamingdienst Apple+ soll eine über vierstündige Langschnittfassung des Films veröffentlicht werden.