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Forum / Solidarität in der Corona-Krise!?
Die EU-Mitgliedstaaten lassen Solidarität untereinander vermissen Foto: Ian Langsdon/EPA POOL/AP/dpa

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Die aktuelle Krisensituation, ausgelöst durch das Coronavirus, gab bis jetzt Anlass zu unterschiedlichen Stellungnahmen und Kommentaren. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen, in den Lebensmittelgeschäften, im Transportbereich und in vielen anderen öffentlichen und privaten Verwaltungen und Betrieben ermöglichen uns, in diesen schwierigen Zeiten ein irgendwie normales Leben zu führen. Ihnen gilt Dank und Anerkennung.

Aufgrund des resoluten Vorgehens der Regierung, vor allem der Gesundheitsministerin, wurden und werden unsere Gesundheitsstrukturen an die Krisensituation angepasst. Eine Ausgangssperre, die allem Anschein nach gut befolgt wird, soll die Ansteckungsgefahr eindämmen. Begrüßenswert ist auch die innergesellschaftliche Solidarität, wo beispielsweise jüngere ältere Mitbürger mit Lebensmitteln und dergleichen versorgen.

Allerdings ist es nicht so, wie es auch in den Medien manchmal dargestellt wird, dass alle Menschen gleichermaßen von der Krise betroffen sind. So sind beispielsweise die Familien, die in engen und nicht angepassten Wohnungen leben müssen, weit stärker von der Ausgangssperre betroffen als jene, die von angenehmeren Wohnungen profitieren können. Gleiches gilt für die Obdachlosen, die Migranten und die Personen, die nicht sozialversichert sind und am Rande unserer Gesellschaft ihr Leben fristen müssen. Zu hoffen bleibt, dass im Anschluss an diese Krise Maßnahmen ergriffen werden, um soziale Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten in unserer Gesellschaft auszumerzen.

Folgen der Liberalisierungspolitik

Viele Politiker und Kommentatoren beklagen sich, im Zeichen der Corona-Krise, zu Recht über den Mangel an Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Wer allerdings in den letzten Jahren und Jahrzehnten die europäische Politik verfolgt hat, mag sich darüber nicht wundern. Die politischen Tugenden, dass sich der soziale und wirtschaftliche Fortschritt ergänzen müssen und dass man lebenswichtige Bereiche nicht der Privatwirtschaft überlassen kann, die in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg vorherrschten, wurden ab den 1970-Jahren vom Liberalisierungsvirus abgelöst. Viele öffentliche Dienstleistungen wurden privatisiert und viele sinnvolle Arbeitsplätze wurden abgebaut. Diese Liberalisierungspolitik wurde 2005 im europäischen Verfassungsvertrag fest verankert. Die freie und ungehinderte Konkurrenz wurde zum Dogma erhoben. Dieser Vertrag wurde zwar von einigen Ländern abgelehnt und trat dennoch, nach kosmetischen Änderungen, als Lissabon-Vertrag in Kraft.

In einem Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell, in dem der Markt alles regeln soll, die Unternehmen trotz unterschiedlicher Sozialbedingungen über die nationalen Grenzen frei miteinander konkurrieren und eine gute soziale Absicherung ebenso wie ein gutes Arbeitsschutzrecht als störend empfunden werden, bleibt die innergemeinschaftliche Solidarität auf der Strecke. Ein eklatantes Beispiel hierfür bildete vor rund zehn Jahren die Wirtschafts- und Finanzkrise, gefolgt von einer Staatsschuldenkrise, vor allem in verschiedenen Ländern. Obwohl wir als Gewerkschaften hier und europaweit mit dem Slogan „wir bezahlen nicht für eure Krise“ angetreten waren, wurden dennoch die Arbeitnehmer und Pensionierten zur Kasse gebeten.

Vor allem aber den südeuropäischen Ländern, allen voran Griechenland, wurden drastische Spar- und Privatisierungsmaßnahmen aufgezwungen. Die besser situierten europäischen Staaten, einschließlich Luxemburg, waren damals nicht solidarisch mit dem griechischen Volk, sondern mit den europäischen Banken, die sie vor Verlusten bewahren wollten. Infolge der strengen Sparauflagen der Europäischen Kommission und des Weltwährungsfonds wurden in manchen Ländern die sozialen Investitionen und Ausgaben, auch im Gesundheitsbereich, zurückgefahren. Hieraus resultiert die aktuelle sanitäre Notlage in verschiedenen Ländern wie in Griechenland, Italien und Spanien infolge der Corona-Epidemie.

Die richtigen Lehren aus der Krise ziehen

Unser Gesundheitssystem ist glücklicherweise besser aufgestellt als in anderen Ländern, da bei uns nicht im gleichen Maße an der Sparschraube gedreht wurde. Unsere Gesundheitsministerin hat dennoch – und das ist begrüßenswert – kürzlich in einem Interview gemeint, die Erfahrungen aus der Corona-Krise sollten dazu dienen, unser Gesundheitssystem noch krisenfester zu gestalten. In diesem Sinne sollte auch die Tendenz überdacht werden, verstärkt auf ambulante Pflege zurückzugreifen, mit dem Ziel, die Bettenzahl in den Kliniken zu reduzieren. Gleiches gilt in Bezug auf die Auslagerung von Klinikaktivitäten in private Arztpraxen.

Auch wenn die Mitgliedstaaten der Union untereinander wenig Solidarität zeigen, so sind andere Länder, gegen die die EU sogar teilweise Sanktionen verhängt hat, hilfsbereiter. China und Russland liefern medizinisches Material und Kuba stellt Italien Ärzte zur Verfügung. Auch dieser Umstand sollte in die Lehren, die hoffentlich aus dieser Krise gezogen werden, einberechnet werden.

In diesem Sinne sollten die internationalen Handelspraktiken der EU und ihrer Mitgliedstaaten auf den Prüfstand gestellt werden. Abgesehen von den negativen sozialen, ökologischen und demokratischen Folgeerscheinungen dieser Handelspolitik hat diese auch gezeigt, wie anfällig unser Gesundheitssystem und unsere Wirtschaft sind, wenn wesentliche Aktivitäten aus Profitgründen in Billiglohnländer auf anderen Kontinenten ausgelagert werden.

* Der Autor ist ehemaliger Präsident des FNCTTFEL-Landesverbands

de Schmatt
3. April 2020 - 9.57

Im Nachhinein ist man immer klüger! Hoffentlich werden die richtigen Schlussfolgeungen für die Zukunft gezogen und die entsprechenden Massnahmen getroffen. Das Coronavirus zeigt uns unsere Grenzen auf und führt uns vor Augen, dass der Wachstum nicht alles ist.

J.Scholer
1. April 2020 - 18.00

@Zeien: Das Gesundheitssystem im Lande wurde seit Jahren nur auf Profitorientierung getrimmt, Betten reduziert und das Personal ,dem Fließbandarbeiter gleich , auf Trab gehalten. Wir können uns glücklich schätzen, dass die Politik , wenn auch etwas blauäugig , noch zur richtigen Zeit die Kurve kratzte, eine Ministerin ,Top Managerin mit kompetenten Staff , die nötigen Vorkehrungen in die Wege leitete , so die medizinische Notfallversorgung absicherte. Wir Luxemburger haben wohl im Konsumrausch , der Spaßgesellschaft vergessen , dass auch wir Katastrophen ausgesetzt sein können und anstatt in Katastrophenschutz, Materiallager anzulegen , waren uns der Pavillon in Dubai, Fußballstadion, Rockhal,....wichtiger als die Absicherung im Notfall. Zu Zeiten des Kalten Krieges war Material für den Ernstfall gelagert, im Rausche der Abrüstung hat man dann wohl alle Vorsichtsmaßnahmen über Bord geworfen und in Saus und Braus gelebt.

Jacques Zeyen
1. April 2020 - 14.44

Bravo Nico,
vor Ewigkeiten schon haben wir gesagt und geschrieben,dass die Globalisierung keinesfalls die drei Pfeiler unserer Gesellschaft,nämlich Bildung,Gesundheit und Sicherheit erschüttern dürfte. Und dennoch haben wir heute das Resultat vor Augen.Es hätte schlimmer kommen können wenn nicht die Gewerkschaften auf der Hut gewesen wären,obwohl auch ihnen die Hände gebunden waren. Mit Gesundheit,Bildung und Sicherheit sollte man nicht versuchen Geld zu verdienen.Am schlimmsten hat es dennoch das Gesundheitswesen getroffen,während Schule und Polizei ( und auch teilweise der öffentliche Transport ) in Staatshänden blieben, wurde im Gesundheitssektor gespart was das Zeug hielt. Obwohl Luxemburg im Vergleich mit Frankreich oder Deutschland noch gut dasteht,bekommen wir heuer die Fehler von damals zu spüren.
Und wenn in Italien 300.000 Chinesen "Billigarbeit" leisten um unseren "Geiz ist Geil"-Komplex zu stillen,dann ist das sicher einer von vielen Denkanstößen die wir für die Zukunft mitnehmen werden.