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EditorialPrivatisierung: Wieso die Debatte zur Petition sinnvoll war

Editorial / Privatisierung: Wieso die Debatte zur Petition sinnvoll war
Eben weil das umstrittene Gesetzesprojekt 7662 am Vortag in den Mülleimer flog, war es umso wichtiger, die Problematik der Privatisierungstendenzen im Bildungswesen zu debattieren Foto: Editpress/Eric Rings

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Ist es eigentlich sinnvoll, eine Debatte über einen Gesetzestext zu führen, der am Tag zuvor zurückgezogen wurde? Es geht um das Gesetzesprojekt 7662, das die Einstellungsbedingungen bei Direktionsposten in vier spezialisierten Lyzeen regeln soll. Mittlerweile liegt der Text in der Mülltonne.

Von vielen Seiten wurde ordentlich Druck auf den Bildungsminister ausgeübt. Claude Meisch sei dabei, die schleichende Privatisierung der öffentlichen Schulen voranzutreiben, so der allgemeine Tenor. Gewerkschaften liefen Sturm, versendeten etliche Briefe an die Medien und organisierten quasi im Wochentakt Pressekonferenzen. Auch in der Bevölkerung regte sich der Widerstand gegen die Meisch’schen Privatisierungstendenzen. Mitte November hatte der Bildungsminister dem großen Druck nachgegeben und angekündigt, Projekt 7662 bis zum Ende der Corona-Krise ins Tiefkühlfach zu legen. Doch das war nur ein Element – sozusagen die Spitze des Eisbergs. Gewerkschaften und Zivilbevölkerung ließen also nicht locker.

Philippe Kirsch ist Lehrer und gründete im November eine Facebook-Gruppe. Er wollte herausfinden, ob noch viele andere Leute über die Privatisierungstendenzen so denken wie er. Nach zwölf Stunden hatten sich bereits 1.200 Menschen der Gruppe angeschlossen. Nach 48 Stunden waren es schon 2.800. Er beschloss, sich Ana Pinto anzuschließen, die eine Petition zu dem Thema ins Leben gerufen hat. Die Privatisierung soll gestoppt werden und das umstrittene Gesetzesprojekt soll vom Tisch.

Am Mittwoch, 27. Januar, hatte die Staatsbeamtengewerkschaft die Presse zu sich ins Hauptquartier eingeladen, um ihren Unmut über die Uneinsichtigkeit einiger Regierungsmitglieder, allen voran deren Kapitän, kundzutun. Am darauffolgenden Montag kam es zu einer Unterredung zwischen Meisch und der CGFP, wo sie sich auf das Abkommen einigten und Projekt 7662 kurzerhand aus dem Eisfach entnommen wurde und in der Mülltonne landete, so wie es anfänglich von der Gewerkschaft gefordert worden war. Noch am selben Tag, abends, ging die Einladung an Journalisten für die Pressekonferenz zur Unterzeichnung des Abkommens raus. Am Dienstagmorgen wurde das Abkommen unterschrieben. Beide Seiten zeigten sich zufrieden. Am Mittwoch dann die öffentliche Debatte zu dem Gesetz, das nicht mehr existiert.

Zurück zur anfänglichen Frage über den Sinn der gestrigen Debatte. Alleine die Tatsache, dass der Text, der Gegenstand der öffentlichen Diskussion im Parlament sein sollte, genau einen Tag davor definitiv zurückgezogen wurde, lässt keine andere Antwort als ein entschiedenes Ja mit mehreren Ausrufezeichen zu. Nicht nur die Bittsteller sind der Meinung, dass der endgültige Rückzug genau getimt war.

Doch mit der Landung des Gesetzesprojektes im Mülleimer ist die Sache nicht vorbei. Ein neuer Text soll den alten ersetzen. Wie Phönix aus der Asche. Heute nennt man das Recycling. Auch deshalb war die Debatte gestern so wichtig. Zudem kristallisiert sich immer mehr heraus, wie Claude Meisch vorgeht. Der Dialog mit den Sozialpartnern und Akteuren „um Terrain“ ist inexistent. Meisch stellt sie immer wieder vor vollendete Tatsachen. Was dann meistens folgt, ist ein riesengroßer Aufschrei auf der anderen Seite. Wird genug Druck aufgebaut, muss Meisch resignieren. Und am Ende sagt er, dass sie doch im Wesentlichen alle auf einer Linie lägen. Das Spiel wiederholt sich stets nach dem gleichen Muster. Wieso eigentlich?

Cornichon
4. Februar 2021 - 12.06

Fragt sich wie man in die Politik gekommen ist, wenn man Gespräche scheut.