Tageblatt: Christine Majerus, in Anbetracht der schwierigen Situation um Amy Pieters – wie schwer fällt es Ihnen, den Fokus auf das Sportliche zu legen?
Christine Majerus: Es ist sicherlich keine einfache Situation – für alle. Vor allem aber nicht für ihre Familie, das dürfen wir nicht vergessen. Amy ist meine beste Freundin in der Mannschaft, es tut weh. Ich weiß aber auch, dass es wichtig ist, sich für die neue Saison zu motivieren – auch aus Respekt vor ihr.
Wie geht das Team mit der Situation um?
Jeder ist für jeden da. Wenn wir uns gegenseitig brauchen, um zu reden, dann weiß hier jede Fahrerin, dass sie auf die anderen zählen kann. Jeder hat aber auch seine eigene Art und Weise, damit umzugehen. Man sollte im Hinterkopf behalten, dass nicht jede Fahrerin schon seit fünf Jahren mit ihr in der Mannschaft fährt. Die neuen kennen Amy nicht so gut. Meiner Meinung nach ist das Wichtigste, zusammenzuhalten – und dadurch stärker zu werden. Wir müssen das Beste aus der Situation machen und weiter hoffen, dass es für Amy besser wird.
Wurde Ihnen nach diesem Unfall in Ihrem Umfeld noch mal bewusster, wie gefährlich Radsport sein kann?
In jungem Alter ist man noch etwas furchtloser, aber mit den Jahren holen Dinge, die passieren, jemanden ein. Man realisiert, dass Radsport sehr gefährlich ist. Ich habe aber keine Angst vor dem Radfahren. Auch nicht nach dem Unfall. Unfälle geschehen auch im normalen Leben, wenn man kein Rad fährt.
Ihr letztes Rennen war die Cyclocross-Landesmeisterschaft am 8. Januar in Ettelbrück. Wie sahen die letzten Wochen bei Ihnen aus?
Ich war nach der Landesmeisterschaft eine Woche krank und habe nichts gemacht. Danach war ich in den Vogesen, zum Langlauf und zum Skifahren. Ich wollte den Körper auf eine andere Art in Bewegung bringen als auf dem Rad. Das ist wichtig für den ganzen Block, der nun ansteht. Wichtig, mal was anderes zu sehen als nur seinen Lenker. Ich habe gut gearbeitet, wenn auch nicht auf dem Rad. In der letzten Woche ging es wieder darum, auf dem Rad den Rhythmus zu finden, um mehr oder weniger für das Trainingslager bereit zu sein.
Bis zum 18. Februar werden Sie mit dem Team in Spanien an der Form arbeiten. Wie sieht Ihr Programm danach aus?
Ich starte das Wochenende vom Omloop Het Nieuwsblad (26.2./1.Pro) und Omloop van het Hageland (27.2./1.1). Entweder bei beiden Rennen oder nur bei einem. Danach folgt ein normales Frühjahrs-Programm, mit allen Klassikern. Ich hoffe, auch noch an der Flandern-Rundfahrt (3.4./WWT) teilzunehmen. Dann habe ich ein Wochenende nichts, ehe ich bei Paris-Roubaix (17.4./WWT) starten werde. Das ist mein Hauptziel im Frühjahr. Es werden lange eineinhalb Monate – das halte ich mir im Hinterkopf. Es ist wichtig, dass ich mich nicht direkt abschieße. Ich muss mit Intelligenz fahren. Die Jahre davor bin ich bei jedem Rennen voll mitgefahren. Aber ich habe dann nach einem Monat, wo ich jedes Wochenende Rennen gefahren bin, gemerkt, dass die Spritzigkeit gefehlt hat. Das will ich in diesem Jahr vor Roubaix vermeiden. Deswegen möchte ich auch das kommende Trainingslager entspannt angehen. Ich weiß, dass die Form nicht top ist, aber ich will an den Prozess glauben.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie nach dem letzten Jahr (Majerus stürzte unverschuldet über eine vor ihr fallende Fahrerin) noch eine Rechnung mit Paris-Roubaix offen haben?
Nein, ich habe mit nichts eine Rechnung offen. Ich möchte einfach bei allen Rennen das Beste aus meinen Möglichkeiten machen. Oft passieren im Rennen Dinge, die man nicht beeinflussen kann. Ich weiß, dass ich im letzten Jahr dort ein besseres Resultat eingefahren hätte als „nur“ einen 11. Platz. Ich möchte einfach mal ein solches Rennen ohne Fehler von mir oder von anderen absolvieren. So möchte ich sehen, was mein bestes Resultat ist – und damit würde ich mich auch zufriedengeben.
In der zweiten Saisonhälfte steht die Premiere der Tour de France Femmes (24.-31.7./2.WWT) an. Ist eine Teilnahme an diesem Rennen Ihr Ziel im Sommer?
Wir haben mit dem Giro und der Tour zwei große Etappenrennen. Die Tour kommt schnell nach der Italien-Rundfahrt (1.-10.7./2.WWT). Ein Teil der Mannschaft wird deswegen in Italien starten, der andere in Frankreich. Beide zu fahren, erscheint mir weniger intelligent. Es ist kein Geheimnis, dass ich sehr gerne bei der Tour starten würde. Der Giro und ich – das wird keine Lovestory mehr. Es ist immer sehr warm, das mag ich gar nicht. Das erste Mal beim Giro bin ich schwer gestürzt, weil es nicht sicher war. Es hat sich zwar zum Positiven entwickelt, aber es ist immer noch ein wenig „Olé olé“. Ich habe bei meinem ersten Giro jeden, wirklich jeden Tag versucht, in die Ausreißergruppe zu gelangen. Es ging nicht. Das war sehr frustrierend.
Zur Tour habe ich eine ganz andere Beziehung. Mit dem Rennen bin ich aufgewachsen. Mit Demi (Vollering) haben wir außerdem eine Fahrerin, die ganz vorne mitfahren kann. Als Helferin möchte ich meinen Teil dazu beitragen. Aber ich muss erst hoffen, selektioniert zu werden. Sollte es der Giro werden, werde ich dort natürlich mein Bestes geben.
Ist das WM-Rennen im australischen Wollongong in Ihrem Kalender markiert oder ist das noch zu weit entfernt?
Nein, da werde ich mit Sicherheit starten. Ich bin Straßenfahrerin, kann eine Cross-WM also absagen – bei einer Straßen-WM habe ich keine Entschuldigung. Die Strecke könnte mir entgegenkommen. Es wird ein schwieriges Rennen, auch mit der Reise am Ende der Saison – aber ich bin sehr motiviert, dort zu starten.
Nach dieser Saison werden Sie 35 Jahre alt sein. Haben Sie schon über die Zukunft nachgedacht?
Es ist sicherlich etwas, worüber ich mir Gedanken machen muss. Im Moment versuche ich aber, mich vor allem auf die erste Saisonhälfte zu konzentrieren. Gedanken zu haben wie: „Das könnte mein letztes Rennen hier sein“, mache ich mir nicht. Ich plane ein Karriereende nicht im Voraus. An dem Tag, an dem ich genug haben werde, werde ich es spüren. Ich weiß auch, dass mein Vertrag ausläuft, aber das stresst mich nicht. Ich habe in den letzten Jahren meine Qualitäten gezeigt. Das Team konnte immer auf mich zählen – als Fahrerin, als Helferin und als Mensch. Wenn ich im nächsten Jahr einen Vertrag haben will, werde ich sicherlich etwas finden, womit ich zufrieden sein werde.
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