In den Niederlanden sprach die Regierung eine Entschuldigung für die Rolle des Landes im weltweiten Sklavenhandel aus und der König hat „um Vergebung gebeten“. Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für die Rechte indigener Völker forderte Dänemark auf, sich mit den „negativen Auswirkungen“ der Kolonialisierung Grönlands auseinanderzusetzen. Und im Vereinigten Königreich haben Medien, die Church of England und Städte wie Manchester die bittere Wahrheit erkannt: Ihr Wohlstand und ihre Macht wurden auf dem Rücken versklavter Menschen geschaffen.
Diese Bemühungen werden zwar zu Recht als historisch bedeutsam anerkannt, allerdings wird auch Kritik geäußert, weil die betroffenen Gemeinschaften nicht ausreichend konsultiert wurden und offensichtlich kaum Bereitschaft bestand, sinnvolle Entschädigungen zu leisten. Tatsächlich weicht man in den Erklärungen und Entschuldigungen oftmals der Frage aus, wie Wiedergutmachung aussehen soll. Aus diesem Grund werden derartige Äußerungen zu zahnlosen Gesten einer Pseudo-Verantwortung.
Keine echte Verantwortungsübernahme
Gewiss tragen die von derartigen öffentlichen Entschuldigungen ausgelösten Diskussionen dazu bei, das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Schrecken des Kolonialismus zu schärfen. Die auf diese Weise geförderte Debatte ist von entscheidender Bedeutung und die Tatsache, dass sie in den ehrwürdigsten Institutionen Europas stattfindet – in Königspalästen, Museen, jahrhundertealten Stiftungen, Unternehmen und Medienkonzernen –, ist ein Beweis für die unablässigen Bemühungen von Organisatoren und Gemeinschaften, zu verhindern, dass die Geschichte unter den sprichwörtlichen Teppich gekehrt wird.
Allerdings gilt es, sich vor der von Olúfémi O. Táíwò von der Georgetown University so bezeichneten „elite capture“ – also der Vereinnahmung durch die Eliten – in Acht zu nehmen, im Rahmen derer potenziell transformative und befreiende Konzepte ihres radikalen Inhalts beraubt und anschließend von jenen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Kräften übernommen werden, auf die diese Konzepte eigentlich abzielten. Der Wiedergutmachungsdiskurs wird in vielerlei Hinsicht bereits auf diese Weise vereinnahmt.
Obwohl durchaus bedeutsam, wird mit keiner der jüngsten Entschuldigungen und Eingeständnisse versucht, das fortbestehende Vermächtnis der Sklaverei, des Kolonialismus, des Imperialismus und des extraktiven Kapitalismus aufzuarbeiten. Offizielle Entschuldigungen können ein sinnvoller Ausgangspunkt sein, aber es darf den Mächtigen nicht gestattet sein, die Abrechnung mit den Gräueltaten kolonialer Ausplünderung dafür zu nutzen, sich einer echten Verantwortungsübernahme zu entziehen.
Systemische Ungerechtigkeiten
Sich ausschließlich auf das Gedenken und die Entschuldigung für historische Ungerechtigkeiten zu konzentrieren, ohne deren anhaltende Auswirkungen anzuerkennen, birgt die Gefahr, strukturelle Ungleichheiten aufrechtzuerhalten. Der Kolonialismus bildete die Grundlage der internationalen Wirtschaftsordnung. Die übermäßige polizeiliche Verfolgung schwarzer Jugendlicher, die überproportional hohe Sterblichkeitsrate unter nicht-weißen Müttern, Diskriminierung am Arbeitsplatz, der limitierte Zugang von Migranten zu Sozialleistungen und die Nekropolitik der „Festung Europa“ sind allesamt Teil des Erbes des rassistischen Imperialismus, auf dem der Reichtum Europas aufgebaut wurde.
Um diese systemischen Ungerechtigkeiten zu beseitigen, gilt es zu erkennen, dass die Betonung der finanziellen Entschädigung in den aktuellen Debatten über Wiedergutmachung ein Problem darstellt. Wenn wir nicht aufpassen, könnten Staaten und Institutionen diese geldzentrierte Definition der Wiedergutmachung als Ausflucht benutzen. Wie aus dem internationalen Recht bekannt ist, ziehen es Länder oft vor, Schadensersatz für ihre Menschenrechtsverletzungen zu zahlen, anstatt sinnvolle Schritte zu unternehmen, wie beispielsweise die Überarbeitung von Gesetzen, politischen Maßnahmen und Verfahren.
Damit soll die zentrale Rolle der Vermögensumverteilung für den Aufbau einer gerechten Welt nicht heruntergespielt werden. Allerdings sind finanzielle Entschädigungen, mit denen lediglich jene beruhigt werden sollen, die Gerechtigkeit fordern, nicht mit Umverteilungsmaßnahmen gleichzusetzen, die auf systemische Ungleichheit abzielen. Europäische Regierungen und Institutionen haben sich bisher eifrig bemüht, diesen Unterschied zu verwischen.
Wie Esther Stanford-Xosei und die Pan-African Reparations Coalition in Europe argumentieren, kann der finanzielle Aspekt der Wiedergutmachung „nur dann sinnvoll sein, wenn er dem ganzheitlichen Ansatz dient und unseren Prozess der Selbstwiederherstellung insgesamt stärkt“. Mit anderen Worten: Jede Form der Wiedergutmachung muss die Gemeinschaften in die Lage versetzen, ihre Macht, ihre Würde und die Kontrolle über ihren gemeinsamen Besitz und ihre Ressourcen zurückzugewinnen. Wenn sich Reparationen ausschließlich auf die Vergangenheit konzentrieren, laufen wir Gefahr, die Gegenwart aus dem Blick zu verlieren und ihr emanzipatorisches Potenzial zu schwächen. Ein historisch fundierterer Ansatz würde Wiedergutmachung als Teil eines größeren Projekts betrachten.
Für eine gerechtere Zukunft
Ebenso wie der allgemeinere Kampf für Gerechtigkeit in den Bereichen ethnische Zugehörigkeit, Soziales, Wirtschaft und Klima besteht der Sinn von Wiedergutmachung darin, zum Aufbau einer gerechteren Welt beizutragen. Der Übergang zu einer derartigen Welt wird nicht ohne Kosten über die Bühne gehen und zweifelsohne Opfer erfordern. Reparationen sollten eine gerechte Verteilung dieser Kosten sicherstellen und nicht als monetäres Heftpflaster fungieren.
Um eine gerechtere Zukunft zu verwirklichen, gilt es zunächst, die dringendsten Bedürfnisse jener Gemeinschaften zu befriedigen, die mit den bleibenden Folgen des Kolonialismus zu kämpfen haben. Das bedeutet, die ungleichen Machtstrukturen in unseren Rechts-, Bildungs-, Gesundheits- und Politiksystemen sowie an unseren Arbeitsplätzen und im Bereich öffentlicher Dienstleistungen abzubauen.
Mit einem gemeinschaftsorientierten Ansatz zur Bekämpfung von Unterdrückungsstrukturen können wir gewährleisten, dass marginalisierte Gruppen gleichberechtigten Zugang zu wichtigen öffentlichen Gütern haben. Allerdings müssen wir auch bereit sein, die inhärent schädigenden und extraktiven Systeme in Frage zu stellen, die wir oft für selbstverständlich halten.
Einfach ausgedrückt, können wir nicht länger hinnehmen, dass ein Rahmen, eine Institution oder ein Prozess, der marginalisierte Gemeinschaften betrifft, ohne deren sinnvolle Beteiligung eingerichtet oder durchgeführt wird. Bei der Wiedergutmachung historischer Ungerechtigkeiten geht es nicht nur darum, vergangenes Unrecht zu korrigieren. Zur Schaffung einer gerechteren Gesellschaft müssen wir uns auch mit den anhaltenden Auswirkungen des Kolonialismus befassen.
Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier
Copyright: Project Syndicate, 2023. www.project-syndicate.org
Ab 1933 wurden meine katholischen Eltern vom unfehlbaren päpstlichen "Luxemburger Wort" gezwungen, sich dem rassistischen Imperialismus des Nationalsozialismus mit voller Kraft zur Verfügung zu stellen.
MfG
Robert Hottua
Letzebuerg hat nie Kolonien.
Fir Letzebuerg "Wiedergutmachung" vu wat?
Hellefen jo, awer nemmen an dene Länner wou Hellef och bei de richteche Leit ukennt, denen dei reel Hellef brauchen. Dat as nawell net iwwerall esou. Beispiller sinn bekannt.