Lange brauchten die Mitglieder des Fanclubs Ben Gastauer nicht zu diskutieren, um sich einig zu sein. Auch sie ahnten bereits, dass 2021 das letzte aktive Jahr des Sportlers sein könnte. „Wir wussten, dass er altersbedingt von Jahr zu Jahr schaut“, sagt Roland Schreiner, Präsident des Fanclubs. „Er hätte noch ein Jahr dranhängen können. Aber einen Vertrag auszusitzen, ohne viele Rennen zu fahren? Das ist überhaupt nicht Bens Art.“ Gerade Schreiner, der der Familie Gastauer nahesteht, bemerkte die Unzufriedenheit des Radprofis. „Auch wenn er es nicht immer zum Ausdruck brachte, weil er eher introvertiert ist: Er war nicht zufrieden. Er wusste, dass er einen Vertrag hat und ihn nicht erfüllen konnte. Er konnte dem Team nicht das zurückgeben, was er wollte. Und ich glaube, dass das für ihn frustrierend war.“ Die offizielle Verkündung, dass er seine Karriere beendet, kam im August – und damit kam auch die Frage auf: Wie geht es mit einem Fanclub weiter, dessen Leitfigur die sportliche Karriere beendet?
Roland Schreiner erinnert sich zurück. 2010, also nur wenige Monate nachdem Gastauer zum ersten Mal für das WorldTour-Team von Ag2r La Mondiale fuhr, kam die Idee, einen Fanclub zu gründen. Initiatoren waren Freunde des Radsportlers, die zu Jugend-Zeiten mit dem Profi zusammen Rennen fuhren. „Sie wollten ihn damals unterstützen“, sagt Schreiner. „Heute sind die Jungen fast alle verschwunden. Es sind fast nur noch die Älteren anwesend, die dieses Werk vervollständigt haben.“ Schreiner war damals Bürgermeister in Schifflingen. Er wurde kontaktiert und übernahm eine Aufgabe im Vorstand des Fanclubs. Als eingetragener Verein hatte der Club seine eigenen Statuten und wurde somit ins Handelsregister eingetragen. 2012 übernahm Schreiner, der das Bürgermeisteramt von 2003 bis 2017 innehatte, den Posten des Präsidenten.
Etwa hundert Mitglieder zählt der Fanclub, der laut Schreiner „zu 95 Prozent aus Luxemburgern“ besteht. Seit 2010 sieht man sie aktiv am Straßenrad verschiedener Rennen. „Wenn es möglich war, haben wir Reisen zu Rennen in der Nähe für unsere Mitglieder organisiert. Zum Beispiel zur Flèche Wallonne oder zu Liège-Bastogne-Liège“. Doch auch bei den Landesmeisterschaften, der Tour de Luxembourg oder der Tour de France waren die Fans präsent – nicht nur, als die Grande Boucle Schifflingen 2017 passierte. „Das war dennoch eines der Highlights. Es war schönes Wetter, Ben war dabei – alles war perfekt“, sagt Schreiner. Vor der Tour hatte die Gemeinde einen Künstler engagiert, der auf die Fassade eines Hauses, das der Gemeinde gehört, das Porträt von Gastauer malte. Das Foto vom Profi, der während der Tour an diesem Haus vorbeifuhr, ist in Luxemburg hinlänglich bekannt.
Eine inoffizielle Hochzeit
Doch wann jubelt man als Mitglied des Ben-Gastauer-Fanclubs? „Es stimmt schon: wenn wir nur bei seinen Siegen jubeln würden, wäre das nicht oft der Fall“, schmunzelt der heutige Ehrenbürgermeister. „Aber wir würdigen seine Leistung. Für Außenstehende, die den Radsport nur im TV verfolgen, ist nicht sichtbar, was er leistet. Wir wissen, welche Rolle er im Team hat, und jubeln ihm einfach zu, wenn wir ihm auf der Strecke begegnen.“
Gastauer hat stets einen intensiven Kontakt zu den Mitgliedern seines persönlichen Fanclubs gepflegt. „Er hat nie Forderungen gestellt, war sehr diskret, sehr bescheiden und gar nicht arrogant. Wenn man ihn etwas gefragt hat, war es für ihn kein Problem“, sagt der Präsident. Schreiner selbst stand der gesamten Familie nah – unter anderem, weil er schon mit Ben Gastauers Mutter, Yvette, zusammen in den Kindergarten ging. Er erinnert sich an die kuriose Anfrage des Radsportlers im Jahr 2015. „Ben fragte mich, ob ich seine Hochzeit übernehmen könnte. Ich war zu diesem Zeitpunkt Bürgermeister, also sagte ich, dass ich das übernehmen würde – schließlich gehörte das zu meinen Aufgaben. Ben hatte aber schon ein altes Schloss in der Toskana gemietet und wollte das dort machen. Ich sagte ihm, dass ich das dort nicht machen könnte, weil das nicht mein Hoheitsgebiet war. Er konnte mich dennoch schnell überzeugen. Also hielt ich die Rede in Italien und wir unterschrieben inoffizielle Dokumente. Es gab ein Festessen mit der Familie und vielen Freunden. Mir war es fast unangenehm, von ihm für eine Woche mit meiner Frau eingeladen zu sein.“ Zwei Wochen später fand dann die offizielle Hochzeitsfeier in Schifflingen statt.
Einmal im Jahr wurde die Generalversammlung des Fanclubs organisiert – immer in Präsenz des Radprofis. Der Sieger der Tour du Haut-Var Matin 2015 ließ es sich zudem nicht nehmen, immer eine Rede zu halten. Die Fans von Gastauer stellten auch immer wieder neue Fanartikel vor, die sie produzieren ließen. Unterstützt wurden der Club dabei von Sponsoren des Radsportlers oder von lokalen Unternehmen, die dem Fanclub aus Sympathie finanziell unter die Arme griffen.
Die Zukunft des Fanclubs
Einen regelmäßigen Treffpunkt habe der Fanclub nicht gehabt, doch meist wurde sich unter Freunden und Mitgliedern privat getroffen. „Wir haben über alles gesprochen, was gerade aktuell ist“, sagt der radsportbegeisterte Schreiner. „Es wurde dann regelmäßig sehr spät“, schmunzelt er. In den vergangenen Jahren und Monaten rückte bei diesen Treffen vor allem ein Thema in den Vordergrund: das Karriereende des Sportlers. „Es hatte sich schon abgezeichnet“, sagt Schreiner. Als sein sportliches Ende dann feststand, fragten sich die Mitglieder, wie es mit dem Fanclub weitergehe. „Wir haben darüber diskutiert, ob wir den Verein auflösen sollen“, sagt Schreiner. „Wir gelangten zur Auffassung, dass es eigentlich keinen Sinn mehr ergibt, dass der Fanclub weiter besteht.“
Die Supporter von Gastauer haben sich aber überlegt, ob sie andere Radsportler unterstützen sollten – damit würde der Fanclub unter anderem Namen sowie anderer Satzung erhalten bleiben. „Wir haben viel diskutiert, kamen aber zu dem Schluss, den Verein Anfang des nächsten Jahres aufzulösen.“ Nach der Debatte, einen anderen Radsportler des LP 07 Schifflingen zu unterstützen – mit Kevin Geniets entstammt beispielsweise immerhin ein fortgeschrittener Profi ebenfalls diesem Verein – merkte man aber, dass die Motivation nicht mehr dieselbe wäre. „Das hat keinen Sinn“, sagt Schreiner. „Wir haben uns immer auf Ben konzentriert. Es gab keine große Bereitschaft, sich neu aufzustellen. Wenn das Bedürfnis besteht, andere Radfahrer zu unterstützen, dann soll eine andere Initiative ergriffen werden. Mit Bens Karriereende ist das Kapitel Fanclub somit auch abgeschlossen.“
Am 30. November findet in Schifflingen eine Abschiedsfeier für den Radprofi statt, ab 2022 soll der Fanclub dann nur noch in den Geschichtsbüchern zu finden sein. Ein wenig Melancholie ist bei Schreiner dann schon zu spüren, wenn er an das Ende des Fanclubs denkt. „Wenn ich sagen würde, dass das wehtun würde, wäre es etwas hoch gegriffen. Aber es ist schon sehr schade. Man wird sich vielleicht nicht mehr so regelmäßig treffen und nicht mehr miteinander zu Rennen fahren. Aber es sind Freundschaften entstanden, die sicherlich bestehen bleiben. Ich werde mich gerne an die Zeit zurückerinnern.“
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