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Kopf des TagesKrisenerprobter Organisator mit starker Heimatverwurzelung: Lars Klingbeil gilt als Favorit auf den SPD-Vorsitz

Kopf des Tages / Krisenerprobter Organisator mit starker Heimatverwurzelung: Lars Klingbeil gilt als Favorit auf den SPD-Vorsitz
 Foto: dpa/Christophe Gateau

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Lars Klingbeil gilt als Favorit auf den SPD-Vorsitz

Als Lars Klingbeil Ende 2017 SPD-Generalsekretär wurde, sollte er eigentlich die Erneuerung der Partei in der Opposition organisieren. Stattdessen führte er bald Verhandlungen über die Neuauflage der großen Koalition, unterstützte gleich eine ganze Reihe von Parteivorsitzenden bei der Einarbeitung und organisierte schließlich den jüngsten Bundestagswahlkampf, an dessen Ende die SPD wider Erwarten stärkste Kraft wurde. Nun könnte Klingbeil bald aus seiner Organisator- und Vermittlerrolle auf den SPD-Chefsessel wechseln.

Der 43-jährige, verheiratete Niedersachse, der dem konservativen Seeheimer Kreis innerhalb der SPD angehört, ist kein Generalsekretär alter Schule – kein Wadenbeißer, der unablässig gegen den politischen Gegner ätzt. Stattdessen wägt Klingbeil seine Worte stets, ist nicht leicht aus der Ruhe zu bringen. Attacke kann er auch, bleibt dabei aber klar und sachlich.

Klingbeil wurde in Soltau geboren und wuchs im benachbarten Munster auf, einer Kleinstadt mit einem der größten Bundeswehrstandorte Deutschlands. Sein Vater arbeitete als Berufssoldat, seine Mutter als Einzelhandelskauffrau. Klingbeil engagierte sich als Schülersprecher und trat 1996 in die SPD ein.

Seinen Zivildienst absolvierte Klingbeil, der früher ein Augenbrauenpiercing trug und in verschiedenen Bands Gitarre spielte, in der Bahnhofsmission Hannover. In der Stadt studierte er auch Politikwissenschaft, Geschichte und Soziologie. Nebenher arbeitete Klingbeil im Wahlkreisbüro des damaligen SPD-Bundeskanzlers Gerhard Schröder und machte Kommunalpolitik.

Nach mehreren USA-Aufenthalten und einem Nachrücker-Gastspiel 2005 sitzt Klingbeil seit 2009 für seine Heimatregion im Bundestag, wo er vor allem Digital- und Verteidigungsthemen beackert. Er veröffentlicht über die Pflichtangaben hinausgehende Details zu seinen Einkünften und zu Lobby-Kontakten.

Klingbeil war noch keine 40, als ihn der damalige Parteivorsitzende Martin Schulz für den Generalsekretärsposten nominierte. Die SPD hatte gerade das schlechteste Bundestagswahlergebnis ihrer Geschichte eingefahren, der Gang in die Opposition schien ausgemacht. Dann ging es Schlag auf Schlag: Die Jamaika-Verhandlungen platzten, die SPD entschied sich unter Schmerzen, die GroKo wieder aufleben zu lassen. Rund zwei Monate nach Klingbeils Wahl zum Generalsekretär warf Schulz hin.

Es folgten diverse kommissarische Vorsitzende und dazwischen ein gutes Jahr unter Andrea Nahles, schließlich die Suche nach einer neuen SPD-Spitze mit zahlreichen Bewerberinnen und Bewerbern, die sich in einer langen Tournee der Basis präsentierten. Dass Klingbeil damals mangels einer Co-Kandidatin nicht selbst antrat, könnte letztlich ein Glücksfall für die Partei gewesen sein. Denn so konnten sich die in der Parteiarbeit unerfahrenen Sieger Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken auf den krisenerprobten General stützen.

Dass die SPD im Wahlkampf 2021 so geschlossen wirkte, ist auch Klingbeils Vermittlungstalent zu verdanken. Die beiden links zu verortenden Parteivorsitzenden und der konservativere Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der ihnen im Mitgliederentscheid unterlegen war – das hätte durchaus schiefgehen können.

Nun will Walter-Borjans seinen Posten auf dem Parteitag am zweiten Dezember-Wochenende räumen. Esken hat sich noch nicht zu ihren Plänen geäußert. Letzteres gilt auch für Klingbeil, der als sowohl wahrscheinlicher als auch aussichtsreicher Kandidat gehandelt wird. „Es ehrt mich sehr, dass mein Name für die Aufgabe des SPD-Vorsitzenden genannt wird“, sagte er dazu dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Es handele sich um ein „reizvolles Amt“.

Theoretisch könnte Klingbeil laut Parteistatut die SPD alleine führen. Praktisch dürfte das Interesse an einer Fortführung der paritätisch besetzten Doppelspitze groß sein – nicht zuletzt bei Scholz, der sich im Wahlkampf als Feminist zu präsentieren suchte. Und dass er ein Teamplayer ist, hat Klingbeil ja schon ausreichend bewiesen. (AFP)