Bei Gelegenheit der Debatte über eine Steuerreform erwähnte der bienenfleißige und von mir geschätzte Berichterstatter André Bauler ein Zitat von Colbert laut dem „d’Konscht vun der Besteierung läit doran, d’Gäns esou ze plëmmen, ouni datt se vill Kreesch deet“. Er erwähnt noch, dass es mit der DP keine Erhöhung der Steuern geben würde. Da Gänse nicht als besonders intelligent gelten, hofft er, dass das Wahlvolk die Abzocke per heimlicher Steuererhöhung durch die kalte Progression nicht wahrnimmt. Keine Woche später kann er sich als Präsident der Finanzkommission für das erste Halbjahr 2022 versus 2021 über ein sattes Plus von 445 Millionen bei der Lohnsteuer erfreuen, und man höre und staune, dass das Plus durch die Indextranchen von 2021 und 2022 und die Dynamik des Arbeitsmarktes zustande kam. Damit gesteht er nolens volens ein, dass auch mit der DP heimliche Steuererhöhungen eine Realität sind. Mit etwas Sarkasmus könnte man der Regierung vorwerfen, durch den Aufschub der letzten Indextranche auf Millionen von (unverdienten) Euro zu verzichten. War dies in der Berechnung der Kosten für den Staat mit betrachtet worden? Wohl kaum. Für die kommende Tripartite (laut Herrn Allegrezza vom Statec vor Jahresende) muss dies bei den „Checks and Balances“ unbedingt mit einfließen? Nach den Pandemiegewinnern, den Kriegsgewinnern gibt es auch noch Papa Staat als Inflationsgewinner.
Um die kalte Progression zu vermeiden, müssten die Tarifstufen, aber auch die Steuerabsetzbeträge jährlich an die Inflation angepasst werden. Um weiter mit der Gießkanne inflationstreibende Geschenke verteilen zu können, versteht man, warum die Regierung sich gegen eine Anpassung der Steuerbareme an die Inflation wehrt. Die letzte Anpassung gab es 2017. Mittlerweile sind fünf Indextranchen erfallen.
Ein Beispiel zeigt, wie ungerecht die kalte Progression ist. Tina ist Single und hatte im Jahr 2016 ein Einkommen von 11.449 Euro. Ihr Chef gibt ihr keine Gehaltserhöhung. Nur die fünf bis zum 1. April 2022 fälligen Indextranchen machen, dass Tina jetzt 12.926 Euro verdient. 2016 bezahlte sie null Steuern, 2022 sind es 139 Euro, ohne dass sie real auch nur einen Cent mehr verdient hätte. Mit der kalten Progression werden somit Tausende aus dem Niedriglohnbereich zu Steuerpflichtigen.
Als Argument gegen eine Anpassung wird auch der Neidgedanke geschürt, indem darauf verwiesen wird, dass die „Déck“ am meisten profitieren würden. Wenn man in den höchsten Steuerstufen die Anpassung an die Inflation nur teilweise oder komplett außen vor lassen würde, wäre das „Problem“ der absoluten Mehrentlastung gelöst. So plant man dies z.B. in Österreich. Ähnlich sind die Sozialisten 2014 in Frankreich vorgegangen.
Wer im Jahr 2017 ein besteuerbares Gehalt von 60.000 Euro hatte, zahlte in Steuerklasse 1) 13.916 Euro an Steuern, im Jahr 2022 ist das Gehalt aufgrund der Indexierung auf 67.500 Euro (ohne Kumulationseffekt) und 17.046 Euro werden an Steuern fällig; Differenz nur wegen der kalten Progression: 3.130 Euro oder plus 12,25 Prozent – also kein Pappenstiel. Sollte derselbe Steuerpflichtige im Jahr 2017 250.000 Euro verdient haben, würde er 2022 +- 282.000 Euro verdienen und seine durchschnittliche Steuerquote würde sich nur von 36,04 auf 36,71 Prozent erhöhen. Es ist der Beweis, dass Kleinst- und Mittelverdiener, relativ gesehen, am meisten unter der kalten Progression leiden.
Wenn die Löhne jedes Jahr um die Inflationsabgeltung steigen, aber die maßgeblichen Steuerstufen gleich bleiben, rücken von Jahr zu Jahr immer mehr Arbeitnehmer in höhere Steuerstufen vor beziehungsweise bleiben in der höchsten Steuerstufe.
Derzeit nicht finanzierbar, heißt es banal (trotz der Milliarde Euro an Mehreinnahmen). Ein Sprichwort sagt, dass das kalte Wasser nicht wärmer wird, wenn man später springt.
In Deutschland wird seit dem 1. Januar 2016 der Steuertarif regelmäßig angepasst.
In Frankreich wurden seit 1969 nur in den Jahren 2012 und 2013 die Steuerbaremen nicht angepasst. Finanzminister Le Maire sagte vor kurzem: „Il est hors de question que des salariés, des Français, paient plus d’impôt sur le revenu avec l’inflation.“
Belgien, ein Land, in dem das Einfrieren der Indexierung der Löhne bisher kein Thema ist, gesteht ein, dass die Anpassung der Steuertabellen kein Geschenk ist. „Notons qu’il ne s’agit pas là d’un cadeau offert par les autorités fédérales: ce mécanisme permet simplement de tenir compte de l’évolution des prix qui a tendance à faire gonfler les revenus via l’indexation automatique des salaires …“
In der Schweiz, ein Land mit wenig Inflation, steht eine Anpassung der Tarife an die Inflation sogar in der Verfassung.
André Bauler hat ein Zitat erwähnt. Mir gefällt ein Zitat von Benjamin Franklin besser, weil es selbst eine Gans versteht und der Wahrheit entspricht: „Nichts in dieser Welt ist sicher, außer dem Tod und den Steuern.“
Man kann sich fragen warum dafür kein Geld in der Staatskasse vorhanden ist. Wenn man sieht wie die Preise für alles mögliche in die Höhe geschnellt sind, verdient der Staat durch Accisen, Steuern, Taxen, TVA dementsprechend mit. Man ist geneigt zu sagen, dass der Steuerzahler sich das Solidaritätspaket 2.0 dadurch selbst finanziert. Und wenn es nicht so traurig wäre, könnte man sagen, dass für die ganzen unnötigen Bauten für die die Regierung Geld zum Fenster rausschmeisst auch noch was übrig bleibt.
Eine weitere schleichende Abzocke wird über die träge Steuerverwaltung inszeniert. Die teileweise Erstattung meiner Lohnsteuer bekomme ich immer mit drei Jahren Verzögerung zurück, selbstverständlich ohne Zinsen. Bis letztes Jahr hatte mich nur die Trägheit der Verwaltung empört aber seit diesem Jahr tut das bei 8 % Inflation richtig weh.