Etwas wage sei die Taktik von Ag2r-Citroën am Freitagmorgen vor der 7. Etappe gewesen, erklärte Bob Jungels. „Wir wussten nicht genau, wie Ben (O’Connor) drauf ist. Wir haben uns drei Karten offen gehalten, das waren die von Ben, Aurélien (Paret-Peintre) und von mir. Ich sagte dem Team aber, dass ich am liebsten nicht in die Echappée gehen würde. Ich wusste, dass ich die letzten Tage viel gearbeitet habe. Sollte ich es in die Ausreißergruppe schaffen, dann wäre ich bei 85 Prozent meiner Kraft. Das reicht nicht, um eine Etappe zu gewinnen. Meine Etappen für die Ausreißergruppe werden noch kommen. Das werden eher Etappen sein, auf denen mehr Berge sind. Etappen, auf denen die anderen Fahrer früher müde werden.“
Jungels hielt sich also zurück und fuhr bis zur Super Planche des Belles Filles in der Hauptgruppe mit. Etwa drei Kilometer vor dem Ziel ließ der Luxemburger den Kontakt zur Gruppe abreißen. Am Ende fuhr er mit 1:39 Minute Rückstand auf Etappensieger Tadej Pogacar (UAE) als 25. über die Ziellinie. Aus seiner französischen Mannschaft landete nur Paret-Peintre (18. auf 1:15 Minute) vor Jungels. Ben O’Connor schluckte erneut viel Zeit, insgesamt 6:45 Minuten.
„Ich denke, dass ich einen guten Anstieg gemacht habe“, sagte Jungels. „Er kam mir nicht besonders entgegen. Es war eine ,Montée sèche‘, wie man auf Französisch sagen würde. Ich konnte hier das bestätigen, was ich schon bei der Tour de Suisse gezeigt habe: Ich bin am Berg nicht weit von den Ersten weg. Es ist schade, dass ich während der letzten Tage einige Körner hab liegen lassen. Wir wussten vor der Tour nicht, dass Ben (O’Connor) nicht die besten Beine hat. Ich denke, wir werden die Taktik langsam ändern.“
Während der Australier in der Gesamtwertung keine Rolle mehr spielt, liegt Paret-Peintre nach sieben Etappen auf Platz 14. „Wir müssen nun schauen, was das Ziel der Mannschaft ist. Entweder peilen wir die Top Ten an oder fahren voll auf Etappensiege“, erklärte Jungels. „Wie ich die Kultur der Mannschaft kenne, ist das Gesamtklassement aber weiterhin wichtig.“
Für Jungels stehen die Türen aber nun etwas offener. Der Luxemburger hat in den letzten Tagen bewiesen, dass er vorne mitfahren kann und könnte bald freie Fahrt von der Mannschaft bekommen. „Ich habe bei der Tour de Suisse schon gezeigt, was ich kann. Dass ich nicht auf Anhieb das Vertrauen der Mannschaft bekomme, verstehe ich. Ich habe aber jetzt über eine Woche gezeigt, dass ich mithalten kann. Ich denke, die Tour geht jetzt erst richtig los. Es wird einige Überraschungen geben. Ich bin auch froh, dass ich wieder an luxemburgischen Fans vorbeifahren kann, ohne auf den Boden gucken zu müssen, sondern auch mal zu lachen, wenn ich den Berg hinunterfahre“, schloss Jungels schmunzelnd.
Geniets zufrieden
Etwas später als Jungels fuhr auch der zweite Luxemburger im Peloton, Kevin Geniets, ins Ziel. Nach erledigter Arbeit rollte er mit 5:17 Minuten Rückstand als 48. über den Strich. „Es war ein guter Tag“, sagte Geniets. „Im Fuß des Anstiegs war meine Arbeit erledigt, es war in Ordnung.“ Nach seinem Sturz am Vortag spürte er leichte Folgen. „Ich war heute Morgen (Freitag) etwas steifer als sonst. Nach einem Sturz weiß man nie, wie es geht.“
Groupama-FDJ präsentierte sich im Kollektiv stark. Am Ende fuhr David Gaudu als Sechster ins Ziel – und wahrt damit seine Ambitionen im Gesamtklassement, in dem er aktuell auf Platz 5 liegt. „Bei David (Gaudu) sieht man wirklich, dass er in Form ist. Thibaut (Pinot) hingegen braucht noch ein bisschen, vielleicht kommt er später nochmal zurück. Wir sind allerdings im Gesamtklassement dabei, das war das Hauptziel. Von daher ist alles gut.“
Vor allem auf den letzten Metern der Super Planche des Belles Filles gerieten einige Fahrer in Schwierigkeiten. Die 24 Prozent gingen auch an Geniets nicht spurlos vorbei. „Es war schon sehr steil. Man versucht, nicht umzufallen“, erklärte er lachend. Für ihn und den Rest des Pelotons geht es nun Richtung Alpen. Am Samstag hat es vor allem die Schlussphase nach 186,3 Kilometern vorbei am Genfer See und hoch zum Olympiastadion in Lausanne in sich. Es warten Rampen mit zwölf und 13 Prozent Steigung auf die Fahrer.
Während am Samstag also vor allem Puncheure auf ihre Chance lauern, kommt die Etappe von Sonntag vor allem Ausreißern mit Kletterqualitäten entgegen. Am vierten und letzten Berg des Tages, dem Pas de Morgins, warten 15,4 km Anstieg auf die Fahrer, ehe nach der Abfahrt das Ziel in Châtel Les Portes du Soleil wartet. Vielleicht könnte Jungels schon hier seine Chance bekommen. Zwar findet das Etappenfinale in Frankreich statt – doch davor fährt das Peloton lange in der Schweiz. Und das ist bekanntlich für Jungels in der jüngeren Vergangenheit ein gutes Pflaster gewesen.
Er soll nicht mehr zu lange lauern. Sonst ist der Zug vorbei.