Kurz vor Weihnachten hat das Europäische Parlament ein Zeichen für „Demokratie am Arbeitsplatz“ gesetzt. Mit großer Mehrheit hat das EP eine Entschließung angenommen, in der es sich klarer als je zuvor zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer*innen bekennt. Es betont deren maßgebliche Rolle für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Europa, den sozial gerechten Übergang zu einer klimaneutralen und ressourceneffizienten Wirtschaft sowie für Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung und – kontrolle. In der Tat belegen wissenschaftliche Erkenntnisse, dass mitbestimmte Unternehmen wirtschaftlich erfolgreicher sind und dass mitbestimmte Unternehmen nachhaltiger wirtschaften. So zeigt sich beispielsweise anhand von Studien der Hans-Böckler-Stiftung, dass Unternehmen mit starker Unternehmensmitbestimmung mehr ausbilden, ein höheres Maß an Arbeitsplatzsicherheit bieten und mehr Frauen in den Aufsichtsrat berufen. Arbeitnehmervertreter*innen in den Aufsichtsräten bilden zudem ein notwendiges Gegengewicht zu kurzfristigen Investoreninteressen.
Es sind gerade ihre fundierten Kenntnisse der Situation in den Betrieben und ihre kritische Grundhaltung, durch die die Arbeitnehmervertreter*innen im Aufsichtsrat auch die Überwachung von unternehmensinternen Compliance- und Risikomanagement-Systemen stärken. Diese positive Rolle der Unternehmensmitbestimmung fußt in Deutschland auf der seit Jahrzehnten bewährten Zusammenarbeit von im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmervertreter*innen und außerbetrieblichen Gewerkschaftsvertreter*innen im mitbestimmten Aufsichtsrat. Während die betrieblichen Arbeitnehmervertreter*innen über wichtiges internes Wissen, etwa über die Arbeitsbedingungen vor Ort und über die Betriebsabläufe, verfügen, bringen die außerbetrieblichen Gewerkschaftsvertreter*innen anerkanntermaßen vertiefte Branchenkenntnisse sowie rechtliches und wirtschaftliches Wissen in die Aufsichtsratstätigkeit ein. Sie steuern damit einen überbetrieblichen Blickwinkel bei und stärken damit die Kompetenz der Arbeitnehmer*innenseite und des Aufsichtsrates insgesamt. Genau diese wichtige Zusammenarbeit ist nunmehr Gegenstand eines Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof. Dazu findet am 7. Februar 2022 eine Anhörung vor der großen Kammer des EuGH in Luxemburg statt.
Abbau verhindern
Der Hintergrund ist ein Antragsverfahren der deutschen Gewerkschaften ver.di und IG Metall gegen das Softwareunternehmen SAP SE. Das deutsche Bundesarbeitsgericht hat dem EuGH die zugrundeliegende Rechtsfrage vorgelegt, ob der nationale Gesetzgeber die Beteiligung der Gewerkschaftsvertreter*innen im Aufsichtsrat auch dann zwingend vorschreiben kann, wenn eine nationale Aktiengesellschaft in eine Europäische Aktiengesellschaft (SE) umgewandelt wird. Das deutsche Unternehmen hatte sich im Jahr 2014 von einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht in eine SE umgewandelt. Bei einer solchen Umwandlung wird zwischen einem besonderen Verhandlungsgremium der Arbeitnehmer*innen (BVG) und der Unternehmensleitung darüber verhandelt, wie die Mitbestimmung im künftigen Unternehmen, also der SE, gestaltet wird. Um dabei einen Abbau von Mitbestimmungsrechten zu verhindern, sieht Artikel 4 der EU-Richtlinie jedoch vor, dass „im Falle einer durch Umwandlung gegründeten SE in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden [muss], das in der Gesellschaft besteht, die in eine SE umgewandelt werden soll“. Unstrittig ist beispielsweise, dass die paritätische Besetzung des Aufsichtsrates mit Vertreter*innen von Eigentümer*innen und Aktionär*innen einerseits und Vertreter*innen der Beschäftigten andererseits auch nach der Umwandlung in die SE beibehalten werden muss.
Nach der Auffassung sowohl des Deutschen Gewerkschaftsbundes als auch des Onofhängege Ge- werkschaftsbond Lëtzebuerg (OGBL) und des Lëtzebuerger Chrëschtleche Gewerkschafts-Bond (LCGB) gehört zu den von der EU-Richtlinie genannten schützenswerten Komponenten jedoch auch die interne Besetzungsstruktur der Arbeitnehmer*innenseite.
Ob dies bei der Umwandlung in eine SE der Fall ist, ist nun Gegenstand der gerichtlichen Auseinandersetzung. Denn bei SAP hatten das BVG und das Unternehmen vereinbart, dass zukünftig der eigenständige Wahlgang für die Vertreter*innen der Gewerkschaften und somit die Beteiligungsgarantie der Gewerkschaften im Aufsichtsrat wegfallen kann.
IG Metall und ver.di halten die entsprechenden Regelungen in der Vereinbarung für nichtig. Das Bundesarbeitsgericht hat sich inhaltlich der Argumentation der beiden Gewerkschaften angeschlossen.
Nach seiner Auffassung gehören die im gesonderten Wahlverfahren von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Vertreter*innen der Arbeitnehmer*innen im Aufsichtsrat nach dem deutschen SE-Beteiligungsgesetz zu den prägenden Elementen der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland, weshalb gesicherte Sitze und separate Wahlen von Gewerkschaftsvertreter*innen im Aufsichtsrat auch in der durch Umwandlung gegründeten SE sicherzustellen sind. Es sei Sache des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten, die wesentlichen Bestandteile der Mitbestimmung zu definieren.
Unterstützung aus Luxemburg
Gleichzeitig macht das Bundesarbeitsgericht jedoch deutlich, dass es „nicht mit der für ein letztinstanzliches Gericht gebotenen Sicherheit beurteilen“ könne, welche – von den Mitgliedstaaten umzusetzenden – Anforderungen sich aus der EU-Richtlinie ergeben. Daher hat es die Frage, ob das deutsche SE- Beteiligungsgesetz mit der EU-Richtlinie vereinbar ist, dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
Die Auswirkungen des Verfahrens reichen aus Sicht von DGB, OGBL und LCGB über die konkrete Frage der Gewerkschaftsvertreter*innen im Aufsichtsrat von SAP hinaus. Luxemburg hat sich dazu entschieden, IG Metall und ver.di in diesem Verfahren vor dem EUGH zu unterstützen, da der Gegenstand der gerichtlichen Auseinandersetzung unmittelbar Konsequenzen für die Vertretung und die Mitbestimmung der Gewerkschaftsvertreter*innen in den Aufsichts- und Verwaltungsräten von in Luxemburg niedergelassenen Aktiengesellschaften haben kann. Wie auch in Deutschland, hat die Mitbestimmung der Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsvertreter*innen in in Luxemburg ansässigen Unternehmen dazu beigetragen, letztere sowohl auf wirtschaftlicher wie auch auf arbeitnehmerrechtlicher Ebene zu stärken und die Aufrechterhaltung des sozialen Friedens zu gewährleisten.
Letztendlich geht es bei diesem Fall auch um die Frage, inwiefern über europäisches Recht nationale Arbeitnehmer*innenstandards abgesenkt werden können.
Diese Frage sollte der EuGH mit einem klaren „Nein“ beantworten. Ziel des europäischen Rechts ist der Schutz der Arbeitnehmer*innen und ihrer Beteiligung, nicht aber, die national gewachsenen Beteiligungsmodelle zu zerstören.
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