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EM-QualifikationEin Belgier erklärt, warum Ronaldo im Stade de Luxembourg in der Startelf stehen dürfte

EM-Qualifikation / Ein Belgier erklärt, warum Ronaldo im Stade de Luxembourg in der Startelf stehen dürfte
Es ist keine Überraschung: So groß sind die Erwartungen an den neuen Chefcoach Foto: AFP/Patricia de Melo

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Sechs Jahre lang stand Roberto Martinez an der Seitenlinie der belgischen Nationalmannschaft. Ein internationaler Titelgewinn blieb ihm verwehrt. Nun will er mit Portugal genau das erreichen. Wie die belgischen Trainer David Vandenbroeck und Sébastien Grandjean die vergangenen Jahre einordnen und wie sie die Chancen des neuen Übungsleiters von CR7 und Co. einschätzen, erzählten sie im Gespräch. 

Nach 109 Spielen war Schluss. Im Dezember des vergangenen Jahres endete eine Ära, die den portugiesischen Fußball dauerhaft geprägt hat. Es waren über 3.000 Diensttage für Fernando Santos, die mit dem WM-Viertelfinalaus gegen Marokko endeten. Sein größter Triumph als Chefcoach von Ronaldo, Pepe und Co. war der Europameistertitel 2016. In seine Fußstapfen tritt ein Mann, der in Belgien besonders zum Anfang seiner Amtsperiode große Anerkennung und Rückendeckung genoss. Doch nach sechs Jahren hatte das Ansehen von Roberto Martinez arg gelitten. Belgien verpasste die WM-Endphase und Martinez trat zurück. Im Januar wurde er als neuer Nationaltrainer der „Seleção“ vorgestellt.

In all diesen Jahren an der Spitze der belgischen Nationalmannschaft hat er es nicht geschafft, eine Trophäe zu gewinnen

Sébastien Grandjean

Sébastien Grandjean, bis Sommer Trainer der Escher Fola, trauert den verpassten Chancen mit den „Diables rouges“ trotzdem nach: „Ich muss leider sagen, dass ich Martinez mit einer Enttäuschung in Verbindung bringe. In all diesen Jahren an der Spitze der belgischen Nationalmannschaft hat er es nicht geschafft, eine Trophäe zu gewinnen. Dabei stand ihm der wohl beste Kader aller Zeiten zur Verfügung.“ Der Belgier nannte viele Namen, von Courtois, Kompany, Vermaelen über Hazard bis hin zu De Bruyne und Lukaku, um nur einige zu nennen. „Mit so einem Team muss man mindestens das Finale eines großen Turniers erreichen. 2018, gegen Frankreich, fehlte nicht viel. Aber als Sportler sagt man sich, dass das nicht ausreicht.“

Sébastien Grandjean
Sébastien Grandjean Foto: Editpress/Gerry Schmit

Am System festgehalten

Unter dem heute 49-jährigen Martinez gehörte Belgien jahrelang zu den stärksten Nationen der Welt, doch eine Krönung gab es dafür nie. „Die Nummer eins der FIFA-Weltrangliste zu sein, bringt nichts“, meinte Grandjean, der dem Coach fehlende Kreativität vorwarf: „Nur einmal, gegen Brasilien, hat er ein anderes System als das 3-4-3 spielen lassen. Das war das einzige Mal, dass er etwas Flexibilität an den Tag gelegt hat. Natürlich hatte er das richtige Spielermaterial für dieses System, allerdings hat er sechs Jahre daran festgehalten. Wäre er auf eine Viererkette umgestiegen, hätte er 2021 damit wohl auch Italien schlagen können …“ 

Er vertraute oft der gleichen Elf, obschon die Wahl nicht immer auf die Spieler fiel, welche die meiste Einsatzzeit im Klub hatten

David Vandenbroeck

Auch David Vandenbroeck, aktueller Coach des BGL-Ligisten Wiltz, ging auf die Probleme ein. „Seine Situation hat sich zum Ende seiner Amtszeit verschlechtert. Er vertraute oft der gleichen Elf, obschon die Wahl nicht immer auf die Spieler fiel, welche die meiste Einsatzzeit im Klub hatten. Deswegen wurde Hazard zum Problem, aber nicht nur. Lukaku war verletzt, Witsel spielte nur wenig und die Verteidigung wurde immer älter. Was das Fass zum Überlaufen gebracht hat, war der Fall Trossard – ein Spieler, der im Verein starke Leistungen zeigte und in Martinez’ Aufstellungen kaum Beachtung gefunden hat. Dies alles in Kombination mit der Tatsache, dass Belgien es dann nicht in die K.o.-Phase der WM geschafft hat, kostete ihn am Ende das Vertrauen.“

David Vandenbroeck
David Vandenbroeck Foto: Editpress/Mélanie Maps

Vandenbroeck gab zu, die Entwicklungen rund um die belgische Nationalmannschaft nicht bis ins letzte Detail und rund um die Uhr zu verfolgen, dennoch hat Martinez der Nation einen großen Dienst erwiesen: „Seine mit Abstand wichtigste Errungenschaft ist, dass er es geschafft hat, die Anhänger aus ganz Belgien zusammenzubringen.“ Grandjean erklärte: „Er war es, der die beiden Leader-Figuren Hazard und De Bruyne zusammengebracht hat. Einige lachen über diesen Konflikt zwischen Wallonien und Flandern. Doch er hat einen Weg gefunden, Streitigkeiten aus dem Weg zu räumen und die Nation zu vereinen. Er hat Hazard die Kapitänsbinde anvertraut und De Bruyne die taktischen Schlüssel.“

Martinez wollte seine Spieler nie in unbequeme Rollen drängen, sondern setzte stets auf individuelle Klasse: „Das Ziel ist es, die Qualitäten der Spieler als Basis für das Gleichgewicht einzusetzen. Ich erwarte nicht von einem Fußballer, dass er Dinge tut, die ihm nicht liegen. Ich möchte, dass meine Spieler das tun, was ihnen Spaß macht, und ihre Qualitäten zeigen. Meine Aufgabe ist es, die Mannschaft so zu führen, dass sie wettbewerbsfähig und ausgeglichen ist. Ich verlasse mich auf die Talente, um die Spiele zu gewinnen, ich mag es nicht, von Systemen abhängig zu sein“, hatte der Coach mit spanischen Wurzeln vor einiger Zeit gegenüber Onze Mondial erklärt. Wie sich diese Philosophie auf Portugals Starensemble übertragen lässt, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen. Sicher ist allerdings, dass Martinez seiner Mannschaft große Freiheiten in der Offensive lässt. 

Gleichzeitig ist der ehemalige Mittelfeldspieler für seine elegante Art bekannt. „Er hatte nie Probleme mit den Spielern oder Verantwortlichen. Er ist ein Diplomat“, meinte Grandjean. Zudem gefiel es den Belgiern, dass er sich für die gesamten Ligen begeistern konnte. „Er war stets politisch korrekt, respektvoll und konnte die Harmonie festigen.“

Hohe Ansprüche

Wie sehr ihm diese Qualitäten dabei helfen werden, sich in Portugal durchzusetzen, wird sich zeigen. Grandjean ist skeptisch, da die Erwartungshaltung bei den erfolgsbesessenen Fans enorm hoch ist. „Ich denke nicht, dass diese Kombination ein Erfolg werden wird. Das sage ich bewusst vor seinem allerersten Spiel als portugiesischer Nationaltrainer. In Portugal ist der Druck um einiges höher als in Belgien. Die Presse wird hart mit ihm ins Gericht gehen, ihn bei jeder Möglichkeit löchern und seine Entscheidungen infrage stellen. Das mag er nicht unbedingt.“ Auch die Attraktivität des Fußballs an sich wird eine Rolle spielen: „Die Portugiesen haben gewisse Ansprüche an den Fußball und die Taktik. Zudem folgt er auf Santos, der mit Portugal Europameister wurde und die Nations League gewonnen hat. Ich habe absolut nichts gegen Martinez und ich würde ihm den Erfolg von Herzen gönnen, aber ich bleibe skeptisch. In Portugal gibt es weiterhin Generationskonflikte. Kann er sie lösen?“

Eine Frage, auf die es derzeit noch keine Antwort geben kann. Der Belgier war aber bereits am Donnerstagmittag davon überzeugt, ein kleines Stück der Martinez-Philosophie im Stade de Luxembourg erhaschen zu können: „Er wird direkt seine Handschrift erkennbar machen wollen. Ronaldo wird in der Startelf stehen, wahrscheinlich mit anderen gestandenen Spielern und ein paar Neuerungen.“