„Diese zehn Minuten fühlten sich wie ein ganzes Spiel an“, berichtet Kevin Juillet am Montagmorgen. Am Freitagabend wurde der Kapitän der zweiten Mannschaft in der Schlussphase eines echten Reserven-Krimis gegen Harlingen/Tarchamps eingewechselt. Auf Facebook war später zu lesen, dass es zwar schön sei, einen 7:5-Sieg einzufahren – „für uns Kiischpelter Spieler gibt es Dinge, die man mit Geld nicht bezahlen kann. Du bist ein Vorbild und wir sind stolz auf dich.“
Gemeint sind die Energie, der Wille und die Einstellung des Krebspatienten, der sich noch vor seiner letzten Chemotherapie fit genug für diesen Kurzeinsatz fühlte. „Im Moment geht es. Es ist eher die Woche nach der Chemo, die schwer ist. Da merke ich schon, dass ich deutlich mehr Schlaf brauche und zu Hause bleiben muss. Auch die Kälte macht mir dann zu schaffen. Aber sobald diese Woche dann wieder vorbei ist, geht es besser.“ Seit zwei Monaten muss er die kräftezehrende Prozedur alle drei Wochen über sich ergehen lassen – am Donnerstag, so blickte er hoffnungsvoll voraus, soll die finale Chemotherapie stattfinden.
Die ersten Anzeichen der Krankheit machten sich vergangene Saison bemerkbar. Dreimal musste er wegen Bauchschmerzen ins Krankenhaus, bevor eine Entzündung festgestellt wurde. Im August, nachdem ein Tumor entdeckt worden war, entschieden die Ärzte, fast ein Drittel des Darms zu entfernen. „Eigentlich hatte ich Glück“, sagt Juillet heute. „Wie sich herausstellte, war der Tumor bösartig.“ Ein paar Wochen lang musste er die Ernährung umstellen.
Coach Fränk Wennmacher und die Teamkollegen wussten ab der ersten Sekunde über den Krankheitsverlauf Bescheid. Der Spieler ging in der Kabine und der Öffentlichkeit bewusst ehrlich mit dem Thema um. „Es ist ja auch absolut nichts, wofür man sich schämen müsste“, meint sein Trainer. „Andere sehen das vielleicht als zu privat. Aber er hat jede Frage beantwortet und sagte selbst, dass es ihm besser geht, wenn er darüber sprechen kann.“
Freunde fürs Leben
Fast eine gesamte Mannschaft hat ihn deshalb auch vor seiner Operation in der Klinik besucht. „Ich saß mit meiner Mutter und meiner Freundin vor der Tür und konnte es kaum glauben, als ich die ersten Autos erkannt habe. Sie haben mir ein Mannschaftsfoto und ein Trikot überreicht. Ich war an diesem Abend schon etwas nervös, deshalb hat mir diese Überraschung sehr viel bedeutet“, erinnert sich der Linksfuß.
Zwei Monate später stand er kurz mit den Veteranen auf dem Platz, danach folgte die besagte Einwechselung bei den Reserven. Der behandelnde Arzt hat ihm die Erlaubnis erteilt. „Sobald mir der Körper es mitteilt, soll ich aufhören. Beim Training lege ich Pausen ein, bei den Veteranen war nach fünf Minuten Schluss.“ Da Wennmacher weiß, dass „Juli“ nächste Woche wieder mit den Folgen der Chemotherapie kämpfen wird, hat er ihn am Montag ein weiteres Mal zum Veteranen-Spiel mitgenommen. „Fußball war immer wichtig für mich“, sagt Juillet. „Nicht nur wegen des Sports an sich, sondern auch wegen der Kollegen und der gemeinsamen Zeit, die wir dann verbringen.“
Die familiäre Atmosphäre hat bei der Juillet-Familie übrigens Tradition: Mutter Sandra hat früher die Jugendmannschaften – und ihren Sohn – trainiert, inzwischen ist sie Vorstandsmitglied beim Verein aus Kiischpelt. Im Alter von fünf Jahren stand Kevin zum ersten Mal auf dem Platz. „Es ist nicht so, dass ich an eine andere Karriere gedacht habe, aber die Freundschaft und die Kollegialität bei uns im Klub sind mir immer wichtiger gewesen, als mit Fußball Geld zu verdienen.“ Sein Gehalt verdient der Erzieher in einer „Maison relais“. Sobald die Kinder Juillet erhaschen, gibt es nur ein Thema: „Sie wollen raus zum Kicken oder in die Sporthalle. Es ist mir wichtig, ihnen etwas beizubringen. Nicht nur spielerisch, sondern auch im Umgang miteinander“, sagt der 24-Jährige.
Denkt er an den Fußball, rückt die bösartige Krankheit in den Hintergrund. „Ich habe von Anfang an nicht an das Negative gedacht.“ Den Rückhalt von Familie, Freunden und Fußballklub hat er auf seinem schweren Weg stets gespürt. Da man aber als Spieler einer 3. Division oder einer Reserventruppe nicht unbedingt oft in Zeitungsartikeln erwähnt wird, hatte Juillet zum Abschluss noch eine besondere Bitte: „Ich möchte auf diesem Weg wirklich allen danken: Den Leuten beim Fußball, bei der Chemotherapie … Ich kämpfe selbst, aber sie machen es mir einfacher.“
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