Mit Tränen in den Augen ging Marie Schreiber im Ziel zu Boden. Der 19-Jährigen stand nicht nur die Enttäuschung über die verpasste Medaille ins Gesicht geschrieben, sondern auch die Qualen der letzten Passagen. Ein Sturz in der dritten Runde hatte der Luxemburgerin alle Medaillenchancen genommen. „Schmerzen“, das war die erste Reaktion von Schreiber, etwa 40 Minuten nach ihrer Zieleinfahrt. „Ich bin in der zweiten oder dritten Runde hart auf mein Knie gefallen und habe ein Knacksen gehört. Danach ging nichts mehr, ich bekam keine Power auf die Pedale.“
Dabei war das Rennen gut losgegangen: Wie gewohnt konnte Schreiber einen schnellen Start hinlegen und sich an die Spitze des Feldes setzen, musste sich dann aber von der Französin Amandine Fouquenet überholen lassen. Noch in der ersten Runde übernahm aber die große Favoritin Shirin Van Anrooij das Kommando. Die Niederländerin setzte sich mit der Britin Zoe Backstedt ab. Schreiber lag nach der ersten von insgesamt sechs Runden acht Sekunden hinter dem Führungsduo auf Rang drei.
Die beiden Führenden bauten ihren Vorsprung in der zweiten Runde weiter aus – Schreiber lag weiterhin auf Rang drei, hatte aber die Tschechin Kristyna Zemanova im Hinterrad. Bereits auf der zweiten Zielpassage lag Van Anrooij alleine vorne. Backstedt folgte auf sechs Sekunden, dahinter dann das Duo Zemanova/Schreiber mit 32 Sekunden Rückstand. „Shirin hat schnell aufs Gas gedrückt“, sagte Schreiber. „Ich wusste, dass ich das nicht mitgehen könnte, weil ich mich hinten raus abschießen würde. Ich fuhr mit der Tschechin zusammen und es war viel Wind auf dem Parcours. Ich bin zwei Runden vor ihr gefahren, sie konnte sich viel ausruhen. Ich wollte dann, dass sie eine Runde vor mir fährt, und danach ein Loch zu ihr herausfahren. Ich wusste, dass ich hinten raus stärker sein würde als sie. Das war die Taktik.“
Sturz in Runde 3
Der große Schock folgte dann aber in der dritten Runde: Zemanova war auf den TV-Bildschirmen als alleinige Dritte zu sehen – Schreiber war erst als Sechste, noch hinter den beiden Französinnen Line Burquier und Amandine Fouquenet auf Platz 6 über die Zeitnahme gefahren. „Ich stürzte am Ausgang einer Kurve“, sagte Schreiber. „Ich war zu nah an eine Absperrung geraten und ich glaube, dass ich mit dem Lenker hängengeblieben bin. Ich bin mit dem Knie irgendwo auf das Rad gefallen. Ich habe keine Erklärung, wie es passieren konnte. Ich war nicht blau oder unaufmerksam. Es ging sehr schnell, auf einmal lag ich am Boden.“
Unter Schmerzen im rechten Knie setzte die Luxemburgerin das Rennen fort. „Unter Adrenalin versucht man die Schmerzen zu ignorieren“, sagt Schreiber. „Es waren so viele Leute da und ich habe bis zum Schluss dran geglaubt, noch aufs Podium zu fahren. Ich wusste, dass die Tschechin vor mir hinten raus langsamer wird. Das war heute aber komischerweise nicht der Fall, was mich ein wenig wundert.“ Schreiber schaffte es, unter großen Schmerzen dennoch an den beiden Französinnen auf Platz vier vorzurücken – richtig an die Tschechin kam sie aber nicht heran.
„Ich habe bis in die letzte Runde dran geglaubt, dass es möglich war. Bis zum Sturz lief es richtig gut. Je länger das Rennen dauerte, desto schlimmer wurden die Schmerzen. Am Ende ging es nur noch drum, ins Ziel zu kommen.“ Während sich ganz vorne Favoritin Shirin Van Anrooij den Weltmeistertitel sicherte, fuhr Zoe Backstedt 33 Sekunden später auf Platz 2, Dritte wurde Zemanova mit 1:32 Minuten Rückstand.
Positiver Blick in die Zukunft
Ergebnisse
Damen, U23:
1. Shirin Van Anrooij (NL) in 45:53 Minuten
2. Zoe Backstedt (GB) 0:33
3. Kristyna Zemanova (CZ) 1:32
… 5. Marie Schreiber (LUX) 2:05
… 26. Maïté Barthels (LUX) 6:44
… 28. Liv Wenzel (LUX) 7:33
Die Französin Fouquenet überholte Schreiber auf der letzten Runde, sodass für die Luxemburgerin am Ende Platz 5 mit 2:05 Minuten Rückstand auf Van Anrooij heraussprang. Maïté Barthels wurde 26., Liv Wenzel bei insgesamt 32 Starterinnen 28. „Ich brauche mich für Platz 5 nicht zu schämen“, erklärte Schreiber. „Heute wäre das Podium drin gewesen, wenn ich nicht gefallen wäre.“ Für Schreiber endet damit eine lange Cyclocross-Saison, in der sie im Weltcup Achte wurde. „Mein Fazit dieser Saison fällt positiv aus. Jempy (Drucker) hat mir gesagt, dass die WM die Kirsche auf der Torte ist. Aber die Torte schmeckt auch so gut. Der Fokus liegt zwar auf der WM, aber ich fahre Cycloross nicht für ein gutes Rennen, sondern für eine ganze Saison. Ich habe von September an gezeigt, dass ich auf dem höchsten Niveau fahren kann. Das Rennen heute war auch nicht schlecht.“
Schreiber wird nun eine Pause einlegen und ihr Knie schonen – bevor dann die Straßensaison mit SD Worx beginnt. „Nächstes Jahr geht es drum, mindestens genauso gut, wenn nicht besser zu fahren. Wenn ich eine Straßensaison habe, kann ich die Cross-Saison gut vorbereiten. Ich bin nächstes Jahr in meinem dritten Espoirs-Jahr. Es wird nächstes Jahr nicht schlimmer als dieses. Ich bin positiv gestimmt.“
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