Als Achraf Hakimi ganz Afrika in die Ekstase schoss, gab es kein Halten mehr bei Marokkos WM-Helden. Der herausragende Torhüter Bono flog nach seinen zwei Paraden im Elfmeterschießen gegen Spanien hoch in die Luft, danach knieten er und seine Mitspieler sich zum Gebet auf den Rasen. Um sie herum glich das Stadion einem Tollhaus, die Fans der „Löwen vom Atlas“ flippten aus vor Glück – die Geschlagenen saßen nach dem „spanischen Desaster“ (Marca) hingegen fassungslos auf dem Rasen.
Beflügelt von seinen 20.000 fanatischen Anhängern setzte sich Marokko nach zuvor 120 torlosen Achtelfinal-Minuten im Elfmeterschießen mit 3:0 durch – weil Bono, pikanterweise in Spanien beim FC Sevilla beschäftigt, nach einem Pfostentreffer von Pablo Sarabia die Schüsse von Carlos Soler und Sergio Busquets parierte. Hakimi traf wie seine Mitspieler zuvor sicher – danach wurden er und Bono von einer Traube aus Spielern und Betreuern begraben.
Die märchenhafte Reise der Marokkaner geht nun gegen Portugal weiter. Sie stehen als vierte afrikanische Mannschaft nach Kamerun, Senegal und zuletzt Ghana unter den letzten acht. Marokko hatte erst zum zweiten Mal in einem WM-Achtelfinale gestanden: 1986 gab es ein 0:1 gegen Deutschland, da Lothar Matthäus in der 87. Minute einen direkten Freistoß verwandelte.
Vor ihrem überragenden Schlussmann hatten die kampfstarken Marokkaner mit Noussair Mazrouni vom FC Bayern zuvor 120 Minuten lang eine undurchdringbare Abwehrwand aufgebaut, sie zeigten sich taktisch diszipliniert, rannten sich die Lunge aus dem Leib – und sie hatten zudem im Education City Stadium von Ar-Rayyan ein Heimspiel. Der ohnehin ohrenbetäubende Lärm steigerte sich zu einem Orkan, als der Sieg gewiss war.
Spanische Dauberbelagerung ohne Ertrag
Bis zum Elfmeterschießen hatten sich die Marokkaner mit Leidenschaft und trotz nachlassender Kräfte erfolgreich gegen die beinahe durchgehende spanische Dauerbelagerung gestemmt. Nach 90 Minuten hatte die „Furia Roja“ schon 768 Pässe gespielt, 94 Prozent davon waren angekommen – doch der Ertrag blieb spärlich. Je länger das Spiel dauerte, desto weniger Entlastung gelang den Marokkanern, einmal, in der 104. Minute, hätte Walid Cheddira allerdings schon für die Entscheidung sorgen können.
„Es wurde auf grausamste Weise entschieden. Wir haben versucht, sie zu zermürben, Räume zu finden, aber uns fehlte das Glück“, sagte Kapitän Sergio Busquets, der sich wohl aus der spanischen Nationalmannschaft verabschieden wird: „Wir müssen aufstehen und unsere Erfahrung nutzen, es gibt sehr junge Spieler dafür, die das tun werden.“
Für Spanien war es nach dem Titelgewinn 2010 und dem Scheitern 2014 in der Gruppenphase bereits das zweite Aus nacheinander in der ersten K.o.-Runde: 2018 in Russland kam das Ende gegen die Gastgeber – ebenfalls im Elfmeterschießen.
Und Marokko? „Warum nicht nach dem Himmel streben? Warum nicht davon träumen, diesen Pokal zu holen?“, hatte Trainer Walid Regragui vor dem Spiel gefragt. Und ja: Warum denn nicht Marokko? Alles erscheint möglich. (SID)
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