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ForumAnalyse einer trägen Escher Wohnpolitik

Forum / Analyse einer trägen Escher Wohnpolitik
 Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Nach einer dreijährigen Pause ist auf Anfrage von „déi Lénk Esch“ nun endlich der Aktivitätsbericht über die Gemeinde- und Studentenwohnungen der Stadt Esch erschienen. Als hätte man eine Reaktion auf den Bericht vermutet, steht in den ersten Abschnitten Folgendes: „Il ne serait cependant pas juste de dire que rien n’a été fait dans la période nous séparant du dernier rapport.“[1] Schauen wir doch genauer hin … Nach ernüchternden Resultaten im Jahr 2019 bestätigen die Zahlen aus dem rezenten Dokument den bereits gefürchteten totalen Stillstand der Escher Wohnpolitik. Die Wohnungskrise ist die unumstrittene „Number one“, wieso sich die sozialen Ungleichheiten in unserer Gesellschaft zunehmend verschärfen. Wenn Mieten in Schallgeschwindigkeit durch die Decke schießen, ist es wenig verwunderlich, dass die Anzahl der Bürger, die trotz Vollzeitarbeit unter die Armutsgrenze fallen, weiter zunimmt. Ergibt Sinn, da sich die arbeitende Gesellschaft keine Wohnung mehr leisten kann. Nennen wir das Kind einfach beim Namen: „Wir sind in einer verdammt misslichen, hausgemachten Lage.“

2023 verzeichnet die Stadt Esch insgesamt 353 Wohneinheiten, die „potenziell“ bewohnt werden können, immerhin 22 mehr als 2019. Die dezente Steigerung lässt sich dadurch erklären, dass 16 Wohnungen privat über die „Gestion locative sociale“ angemietet wurden, was fairerweise Anerkennung verdient. Zählt man hingegen die Gemeindewohnungen separat, besitzt die Stadt aktuell 332 Wohneinheiten, also sechs mehr als noch 2019. Eine positive Brutto-Bilanz, die jedoch nur ein Tropfen auf den glühenden Wohnungsmarkt ist und die explodierenden Wohnungsanfragen widerspiegelt. Arbeitet man sich tiefer in das Dokument hinein, fällt auf, dass es sich lediglich um eine verfälschte Realität handelt und die Netto-Bilanz deutlich schlechter ausfällt.

Um die Dringlichkeit der Lage zu verdeutlichen, rudern wir ins Jahr 2011 zurück. Vor 12 Jahren waren 58 Wohnungen der Gemeinde Esch aus renovierungs- und reparaturtechnischen Gründen nicht bewohnbar. Fünf Jahre später sind es 73, 2019 immer noch 52 und 2023 sage und schreibe 58 Wohnungen. Konkret sind von 332 Wohnungen aktuell nur 274 besetzt – oder, anders formuliert, es stehen knapp 18 Prozent der Gemeindewohnungen leer. Eine schaurige Bilanz! Für die Mathematiker unter den Lesern wird der Stillstand der Wohnpolitik förmlich bewiesen. Rechnet man 2019 die Gemeindewohnungen von den unbewohnten Wohnungen ab, kommt man auf die exakt gleiche Zahl wie 2023. Was für ein Zufall …

Alle Altersklassen betroffen

Durch die chronische Verschärfung der Wohnungskrise der vergangenen Jahre steigen die Anfragen bei der Gemeinde kontinuierlich. Während 2019 noch 303 Personen einen Antrag für eine Gemeindewohnung stellten, sind es aktuell 357. Ein Rekord. Auffällig und besorgniserregend ist, dass die Anfragen in allen Altersklassen nach oben schellen. Dies bedeutet, dass sich die Wohnungskrise nicht nur auf die Alters- oder Jugendarmut beschränkt, sondern sich flächendeckend über die gesamte Population wie ein Nebelbett ausbreitet. Altersübergreifend ist die Gruppe der Alleinerziehenden von der Wohnungsarmut besonders betroffen. Dann liegt der Schluss nahe, dass viele Kinder unter prekären Lebensbedingungen aufwachsen und in eine unsichere Zukunft blicken. Wenn die Anfragen dermaßen steigen, über ein Jahrzehnt lang keine Wohnungen erschlossen werden, die Hilferufe förmlich spürbar sind und die Gemeinde gleichzeitig Wohnungen aufgibt, um sie in Büros umzugestalten, dann gleicht dies einer politischen Bankrotterklärung auf Kosten der Gesellschaft.

Allzu gern schmücken wir uns selbst mit dem Titel Universitäts- oder Studentenstadt. Seit der Einweihung der Studentenwohnungen herrscht im Rathaus Stillstand und bei den Studenten Ratlosigkeit. Sehr rezent veröffentlichte das Tageblatt zu Recht einen Artikel mit dem Titel „Wohin mit all den Studenten?“. Die Universität Luxemburg macht auf ihrer Internetseite ehrlicherweise kein Geheimnis aus der Wohnproblematik: „Bitte beachten Sie, dass Plätze in den Studentenwohnheimen stark gefragt sind und wir nicht den Wohnbedürfnissen aller Studenten nachkommen können.“[2] Die Escher Gemeinde scheint sich der Verantwortung ebenso zu entziehen, da nur 5,8 Prozent der insgesamt 776 Studentenwohnungen auf Escher Territorium hausintern verwaltet werden. Dies sind 10 Prozent von dem, was eigentlich gebraucht wird, um die rund 7.000 Studierenden unterzubringen. Gleichzeitig stieg die Anfrage in drei Jahren um das Siebenfache. Ohne saftige Finanzspritze der Eltern oder der Verschuldung durch einen Bankkredit wird man kaum sechs Semester auf dem privaten Wohnungsmarkt bestehen können.

Personalmangel im Wohnungsamt

Seit mehr als 20 Jahren ist das Wohnungsamt total unterbesetzt. Es war der jetzige Schöffenrat, der zwischen 2018 und 2020 zwei Sozialarbeiter einstellte und etwas später noch eine psychiatrische Arbeitskraft als Verstärkung. Eine weise Entscheidung, die Lob verdient. Trotzdem muss man wissen, dass dies noch lange nicht ausreicht. Die Stadt Luxemburg hat beispielsweise mehr als doppelt so viele Wohnungen und fünf mal so viel Personal. Was das Personal über die letzten zwei Jahrzehnte leistet, trägt einer Mammutaufgabe Rechnung und verdient allerhöchsten Respekt. Dies bedeutet gleichzeitig, dass die Angestellten so schnell wie möglich entlastet werden müssen.

Nach dem Motto „das Beste kommt zum Schluss“ werden am Ende des Dokumentes 385 Gemeindewohnungen und 126 Studentenwohnungen zwischen den Jahren 2025 und 2035 in Aussicht gestellt. Auf der „Rout Lëns“ sowie in den „Nonnewisen“ sollen die Bagger kräftig dampfen. So zumindest die Behauptung. Zweifellos wird sich der Schöffenrat mitsamt Martin Kox, der seit über zehn Jahren verantwortlich für Bauten und Wohnen in Esch ist, mit diesen Zahlen gegenüber sämtlicher Kritik verteidigen und versuchen, die Wahlen unbeschadet zu überstehen. Gediegenerweise verdienen diese positiven Aussichten Beifall und zumindest bekommt man das Gefühl, dass auch der letzte Politiker den Ernst der Lage erkannt hat. Was wir jedoch die letzten Jahre feststellen mussten, ist, dass sämtliche Projekte durch unterschiedliche Gründe ins Stocken geraten oder sogar ganz stagnieren. Nehmen wir das rezente Beispiel des Hochhauses „Portal 1“. Auch hier sind oder waren 10 Prozent bezahlbare Wohnungen vorgesehen und sollen Ende 2024 bezugsbereit sein. Vor einer Woche dann die Ernüchterung. Der vertikale Kataster und Bodenanalysen sind die Gründe für den Baustopp. Die Gemeinde fällt aus allen Wolken, die Schuld wird womöglich wieder auf andere Instanzen geschoben und alles, was vom Projekt übrig bleibt, ist eine matschige, breiige Suppe aus Sand und Erde. Ohne vorzugreifen wird das wohl nichts mit den bezahlbaren Wohnungen vor 2027. Um noch einmal auf die Pläne der nächsten zehn Jahren zurückzukommen, innerhalb derer insgesamt 511 bezahlbare Wohnungen aus dem Boden florieren sollen, ganz ehrlich: „Da lachen ja die Hühner“.

Alles verloren? Nein!

Für schnelle und kurzfristige Lösungen brauchen wir politische Entscheidungen mit Herz und Mut. Da wir wissen, dass große Projekte langwierig und träge sind, müssen wir zu vielen kleinen Handlungen bereit sein. Leerstehende Wohnungen, welche nur zu Spekulationszwecken dienen, müssen taxiert werden, um anschließend mobilisiert zu werden. Der Immobilienmarkt stagniert aktuell – der richtige Zeitpunkt, um als Gemeinde Immobilien zu kaufen und bezahlbar zu vermieten. Alternative Wohnformen wie die „Tiny Houses“ müssen unterstützt und – wieso auch nicht – von der Gemeinde verwaltet werden. Die Wohngemeinschaften müssen weniger streng gehandhabt werden, um der jungen Generation eine Alternative zu bieten. Baulücken müssen konkret erfasst und bebaut werden. Das Personal muss so aufgestockt werden, dass die Renovierungsarbeiten endlich voranschreiten. Nein, es ist nicht alles verloren! „Mär mussen eis awer elo ferm um Rimm rappen!“


[1] Rapport d’activité Service Logement au 1er janvier 2023

[2] Université de Luxembourg, allgemeine Informationen: wwwde.uni.lu/studierende/wohnen/allgemeine_informationen, 29.3.2023

Samuel Baum ist Mitglied von „déi Lénk Esch“
Samuel Baum ist Mitglied von „déi Lénk Esch“ Foto: Editpress/Tania Feller