Headlines

Flèche du Sud50 Quadratmeter Lebenswerk: Gilles Bosseler hat ein Radsport-Archiv erschaffen

Flèche du Sud / 50 Quadratmeter Lebenswerk: Gilles Bosseler hat ein Radsport-Archiv erschaffen
Besonders stolz ist Gilles Bosseler auf die Zeitfahr-Schilder von Bob Jungels und Nairo Quintana Fotos: Anouk Flesch/Tageblatt

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Gilles Bosseler aus Beles hat ein Radsport-Archiv erschaffen. Das Vorstandsmitglied der Velo Union Esch sammelt alles, was mit dem Radsport in Verbindung gebracht werden kann. Doch der 63-Jährige stellt auch eigene Recherchen an. Das Tageblatt nimmt Sie mit in einen ganz besonderen Raum.

Es ist unmöglich, dem Radsport zu entfliehen – zumindest in diesem Raum. Ein Zimmer, das sich im zweiten Stock eines Einfamilienhauses in Beles befindet, 15 Stufen sind es hinauf. Eine Wendeltreppe führt von der ersten in die zweite Etage. Der Raum befindet sich unter dem Dach, zwei Dachfenster lassen helles Licht ins Zimmer. Im Zimmer angekommen, überwältigt der erste Eindruck. Statuen, Trinkflaschen, Räder, Bücher, Trikots. Es sind ganz verschiedene Stücke – doch alle haben sie eine Gemeinsamkeit: Sie sind mit dem Radsport verbunden. 

Links im Raum stehen ein roter Stuhl, der mit Stoff überzogen ist, und ein großer, beiger Sessel. Sie laden dazu ein, Näheres über das Zimmer zu erfahren. „Nehmen Sie doch gerne Platz“, sagt Gilles Bosseler. Bosseler ist 63 Jahre alt und hat sich in den vergangenen Jahren ein wahres Radsport-Archiv in Beles erschaffen. Alles dreht sich hier um den Rennsport. Selbst sein Outfit: Bosseler trägt ein schwarzes T-Shirt, auf dem drei Radfahrer mit den Leadertrikots der Tour de France abgebildet sind – einer im Grünen, einer im Gepunkteten und einer im Gelben Trikot.

Wände mit Postern von Radrennen, Plakate unterschiedlichster Rundfahrten oder Souvenirs aus den verschiedensten Ländern – ein Schild der Tour de Suisse, eine Radfahrer-Statue aus Afrika, aber auch eine Trinkflasche von SD Worx, die er beim vergangenen Festival Elsy Jacobs erhielt. „Ist viel, nicht wahr?“, zwinkert Bosseler, der sich mittlerweile auf dem weißen Sessel niedergelassen hat. „Meine jüngste Tochter Maja sagt manchmal, dass ich einen Knall habe“, erklärt er schmunzelnd. „Sie sagt, ich wäre wie ein Messie. Das tut sie aber nur, um mich ein wenig zu ärgern.“ Denn: Bosseler sammelt. Das tut er akribisch, sorgfältig und diszipliniert. 

1972 begann die Sammelei

Ordnung ist vor allem in den Bücherregalen zu sehen. Hinter dem roten Stuhl fällt ein Schrank voller Bücher auf. „Insgesamt habe ich zwischen 500 und 600“, sagt er. Richtet sich der Blick weiter nach rechts, fällt ein weiteres Regal voller Ordner auf. „Tödliche Unfalle im Radsport“, „Der Luxemburger Radsport unter der deutschen Besatzung“ oder „Les Débuts du Cyclisme au Luxembourg“ zieren die Ordner. Recherchen, die Bosseler selbst gemacht hat. „Einfach, weil es mich interessiert“, lächelt er. 

Bosselers Sammlerstücke
Bosselers Sammlerstücke

Bosseler weiß viel über den Radsport. Er kennt nicht nur die Daten der großen luxemburgischen Siege, er kann Anekdoten aus der Zeit erzählen. Erzählt er eine Geschichte, bricht er manchmal kurz ab. „Warten Sie kurz“, sagt er, steht auf und verschwindet hinter einem Schrank. Es dauert nicht lange, bis er mit einem Ordner zurückkommt, um seine Story zu schmücken. Bosseler hat viele Ordner – doch er braucht nie lange, um genau zu wissen, wo er suchen muss, wenn er nach etwas gefragt wird. Den Überblick hat er noch lange nicht verloren – auch, wenn es langsam eng in seinem 50 Quadratmeter großen Raum wird. 

Die Begeisterung für den Radsport wurde Bosseler in die Wiege gelegt. Sein Vater Fernand fuhr Rennen, unter anderem gemeinsam mit Charly Gaul. In den 1970er Jahren nahm ihn sein Vater mit zu Rennen, Bosseler selbst machte seine sportlichen Anfänge bei der UC Petingen, später nahm er an Rennen wie Paris-Brest-Paris teil. 

Mit der Sammelei hat alles 1972 angefangen, daran erinnere er sich noch ganz genau. „Warten Sie kurz“, sagt Bosseler und steht wieder auf. Dieses Mal kommt er mit einem gelben Taschenbuch zurück: Eddy Merckx – cet inconnu. „Hiermit hat alles angefangen“, sagt er. „Ich kaufte es in einer Bücherei in Petingen für 50 Luxemburger Franken.“ 

So richtig Form hat sein Archiv jedoch erst in den vergangenen Jahren angenommen. Seit vier Jahren ist er pensioniert und kann mehr Zeit in seine Leidenschaft investieren. Denn Priorität, das betont er, habe immer seine Familie gehabt. Bosseler arbeitete lange im Versicherungssektor, bekam dann mit seiner Frau Marie-Jeanne drei Kinder. Weder der älteste Sohn Sven noch seine beiden Töchter Laura und Mara haben das Radsport-Interesse geerbt. „Was soll man machen?“, grinst Bosseler und zuckt mit den Achseln. 

Besondere Stücke

In seinem Raum fällt ein besonderer Schrank auf. Groß und tief steht er in der Mitte des Raumes. „Dieses Zimmer war früher das Schlafzimmer von meiner Frau und mir“, erklärt Bosseler „Ich wollte diesen Schrank nicht wegschmeißen, da sehr viel reinpasst.“ In dem Kleiderschrank befinden sich nun sämtliche Radsport-Trikots. Alte Shirts von Luxemburger Vereinen, aber auch neuere Modelle, wie beispielsweise das hellblaue Trikot der FSCL. Die Spiegel an den Türen hat Bosseler natürlich überklebt. Mit einem Foto von Radsportlern, die vor einem Fahrradladen in Luxemburg stehen. 

Bosseler dokumentiert sorgfältig
Bosseler dokumentiert sorgfältig

Auf einige Stücke seiner Sammlung ist Bosseler besonders stolz, wie zum Beispiel die Zeitfahr-Schilder von Nairo Quintana und Bob Jungels mit dem Logo von Esch 22. Beide Schilder wurden beim Zeitfahren der Tour de Luxembourg 2021 genutzt. Um an diese besonderen Erinnerungsstücke heranzukommen, hat er seine Kontakte über die Jahre im Radsport aufgebaut und gepflegt. Bei der Tour de Suisse, die er öfter besuchte, lernte er unter anderem Fränk Schleck und Kim Kirchen kennen. „Vor dem Start wechseln wir ein paar Worte“, erzählt Bosseler. „Ich wollte sie nie belästigen. Ein respektvoller Umgang war und ist mir sehr wichtig“.

Da er immer öfter bei den Rennen auftauchte, lernten die Radsportler ihn kennen. An einen besonderen Moment erinnert er sich gerne: die Ehrenrunde der Tour de France auf den Champs Elysées 2007. Kim Kirchen wurde damals Siebter. „In Paris ist alles sehr gesichert“, sagt er. „Als Kim uns am Straßenrand erblickte, blieb er stehen, kletterte über drei, vier Barrieren, umarmte uns und fuhr dann weiter. Das werde ich nie vergessen.“ 

Bosseler hat einen Namen in der luxemburgischen Radsport-Szene. Nicht nur bei den Sportlern, auch bei Verantwortlichen oder im Ministerium. Dort darf er an seinen Recherchen arbeiten. Seit 2014 ist er außerdem Vorstandsmitglied der Velo Union Esch, arbeitet also an der Organisation der Flèche du Sud mit. „Warten Sie kurz“, sagt er, steht wieder auf und kramt in einem seiner Schränke. Zurück kommt er mit dem Leadertrikot der Flèche du Sud von 1982.

Eine weitere große Leidenschaft ist das Reisen mit seiner Frau – während seiner Trips besucht er Radrennen und kommt mit Radsport-Souvenirs zurück. Sei es in Thailand oder auf den Philippinen. Wo er noch nicht war, ist in Australien. Dort, am anderen Ende der Welt, lebt sein Ältester. Sven hat in Down Under mit seiner Lebensgefährtin ein Kind zur Welt gebracht, das Bosseler und seine Frau bisher nur über die Webcam sehen durfte. Bosseler blickt etwas enttäuscht auf den Fliesenboden. Die Frage, ob er denn wüsste, wo die Straßenrad-Weltmeisterschaft 2022 stattfinde, lässt seine braunen Augen dann wieder aufblitzen. „Ja, das weiß ich“, antwortet er. „In Wollongong, Australien. – Ja, vielleicht …“ Vielleicht lässt sich dieses Event ja mit einem Familienbesuch verbinden. Denn neben Statuen, Trikots oder Trinkflaschen kann Bosseler dann mit einer ganz besonderen Erinnerung in seinen Raum nach Beles zurückkehren.