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StandpunktUmweltzölle könnten ein entscheidender Wendepunkt sein

Standpunkt / Umweltzölle könnten ein entscheidender Wendepunkt sein
Obwohl für eine effektive Energiewende Regeln und Subventionen nötig sind, ist eine Besteuerung von Kohlenstoff zentral Foto: Philippe Desmazes/AFP/dpa

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Die letzte Hoffnung für die Menschheit, den Klimawandel noch abzumildern – der zukünftig immer zerstörerischer wird, wenn wir unsere Treibhausgasemissionen nicht verringern – könnte die Einführung von Umweltzöllen sein.

Der direkteste Weg, dieser beispiellosen globalen Bedrohung zu begegnen, wäre ein multilaterales Abkommen, das in allen (oder den meisten) Ländern zu einem „grünen Wandel“ führt. Entscheidend dabei ist, mehr erneuerbare Energien zu gewinnen und gleichzeitig den Verbrauch fossiler Energieträger erheblich zu verringern – ein Prozess, der eine koordinierte Politik an drei Fronten erfordert: Regulierung, Subventionen für sauberere Technologien (einschließlich erneuerbarer Energien), und Kohlenstoffsteuern.

Leider scheint solch ein weltweites Abkommen völlig außer Reichweite zu sein. Der Grund dafür ist nicht nur, dass die fossilen Branchen politisch immer noch sehr mächtig sind, sondern auch, dass die weltweit größten Verschmutzer – darunter die Vereinigten Staaten, China und Indien – nicht die nötigen Maßnahmen treffen.

Obwohl für eine effektive Energiewende Regeln und Subventionen nötig sind, ist eine Besteuerung von Kohlenstoff zentral, da so die Kosten für den Ausstoß von Kohlendioxid, Methan und anderen Treibhausgasen erhöht werden. Solche Steuern wurden bereits in mehreren Ländern eingeführt – die höchsten davon in Schweden (etwa 117 Dollar pro Tonne). Aber viele andere wie die USA oder China haben dies nicht getan.

Dieser Mangel an Konsistenz führt zu „Kohlenstofflecks“. Emissionsintensive Betriebe neigen dazu, ihre Aktivitäten aus Ländern mit Kohlenstoffsteuern in solche zu verschieben, die keine solche Steuern erheben. Obwohl ein Land, das unilateral eine Kohlenstoffsteuer einführt, allen anderen nützt, weil es dadurch seine eigenen Treibhausgasemissionen verringert, ermutigt es andere Länder unweigerlich, dies nicht zu tun. Oder man kann, wie es Ökonomen ausdrücken würden, erwarten, dass unilaterale Klimamaßnahmen als länderübergreifender „strategischer Ersatz“ dienen: Je höher die Kohlenstoffsteuer eines Landes ist, desto weniger werden andere Länder tun, um ihre Emissionen zu verringern.

Kohlenstoffarbitrage

Eine hohe Kohlenstoffsteuer bietet also die Möglichkeit zur „Kohlenstoffarbitrage“. Da pro Tonne hergestellten Stahls 1,85 Tonnen Kohlenstoff emittiert werden, verteuert die schwedische Kohlenstoffsteuer die Stahlproduktion im Land um etwa 210 Dollar pro Tonne, wodurch es für Verarbeitungsbetriebe und ihre Kunden viel attraktiver wird, Stahl aus China einzuführen.

Schlimmer noch, die chinesischen Behörden erhalten so einen Anreiz, daran nichts zu ändern. Ohne eine chinesische Kohlenstoffsteuer blühen die Stahlexporte des Landes auf, und dies nützt der Industrie, den Arbeitern und den Politikern (die behaupten können, die Wirtschaft gefördert zu haben). Sogar wenn die chinesischen Behörden erkannt haben, dass der Klimawandel bekämpft werden muss, könnten sie letztlich weniger dagegen tun, als sie es ohne Schwedens Kohlenstoffsteuer getan hätten.

Deshalb brauchen wir Umweltzölle, die diese Logik umkehren, indem sie die Kohlenstoffsteuern auf die Importe legen. Schweden würde also Zölle einführen, deren Höhe dem Unterschied zwischen seiner Kohlenstoffsteuer und derjenigen des Exportlands entspricht – bezogen auf die Menge der CO2-Emissionen, die bei der Herstellung der importierten Produkte anfallen.

Der offensichtlichste Vorteil von Umweltzöllen besteht darin, dass sie Kohlenstofflecks verhindern. Indem sie die künstlichen Kostenvorteile bei Importen aus Ländern mit niedrigen Kohlenstoffsteuern ausgleichen, würden sie beispielsweise die Stahlhersteller dazu ermutigen, ihre Rohmaterialien von saubereren inländischen Bezugsquellen oder über weniger schmutzige Exporte zu beziehen.

Wichtiger noch könnten allerdings die indirekten Effekte von Umweltzöllen sein. Vor allem machen sie Maßnahmen gegen den Klimawandel zu einer „strategischen Ergänzung“ statt zu einem strategischen Ersatz. Dies bedeutet, dass die schwedischen Kohlenstoffsteuern dann andere Länder dazu ermutigen würden, selbst ähnliche Maßnahmen einzuführen, anstatt sie davon abzuhalten.

Die Logik dahinter ist einfach: Ohne Umweltzölle würde Schwedens Kohlenstoffsteuer den chinesischen Stahlherstellern eine Möglichkeit zur Arbitrage bieten. Führen aber mehr Länder Importzölle ein, werden die chinesischen Behörden ihren Stahlexporteuren helfen, sauberer zu produzieren. Unabhängig davon, ob dies durch Kohlenstoffsteuern, Regulierungsmaßnahmen oder Subventionen sauberer Energie geschieht, werden die CO2-Emissionen dort zurückgehen. Und sobald die chinesischen Hersteller ernsthaft ihre Emissionen verringern, werden die Behörden dort einen Anreiz haben, selbst Umweltzölle einzuführen.

Was aggressiven Umweltzöllen häufig im Weg steht, sind Ausflüchte und falsche Argumente. Die fossilen Energiekonzerne und die großen Verschmutzer wie China wehren sich massiv gegen solche Zölle und haben aggressive Lobbyarbeit betrieben, um sie zu blockieren. Aber diese Position ist rein selbstsüchtiger Natur und sollte daher abgelehnt werden.

„Völlig legal“

Ein zweites Argument ist, die Umweltzölle seien protektionistische Maßnahmen und wir sollten es nicht „riskieren, Protektionisten weitere Zugeständnisse zu machen“, wie es der Economist ausdrückt. Diese Behauptung lässt sich leicht widerlegen: Da Kohlenstoffsteuern für faire Marktbedingungen sorgen, sind sie nicht mit traditionellen protektionistischen Maßnahmen vergleichbar. Darüber hinaus besagt die klassische Handelstheorie nicht, dass eine innenpolitische Arbitrage Wohlstandsgewinne erzeugt – insbesondere angesichts dessen, dass Maßnahmen wie solche Zölle dem Kampf gegen den Klimawandel dienen.

Ein dritter Einwand ist, Umweltzölle seien laut der Regeln der Welthandelsorganisation nicht erlaubt. Liest man das GATT-Abkommen (General Agreement on Tariffs and Trade) aber genau durch, kommt man zu dem Schluss, dass sie völlig legal sind. Artikel III ermöglicht Umweltsteuern und besagt, dass „[importierte Waren] weder direkt noch indirekt internen Steuern oder anderen internen Gebühren jeder Art unterliegen dürfen, die das Ausmaß direkter oder indirekter Steuern für entsprechende inländische Waren überschreiten“. Daraus folgt, dass, wenn ein Land auf „entsprechende inländische Waren“ eine interne Kohlenstoffsteuer verhängt, es die gleiche Steuer auch in Form von Importzöllen erheben darf.

Diese Regel ist bereits die traditionelle Grundlage für Grenzanpassungen der Mehrwertsteuer, und sie war auch der Grund für eine Bestimmung der GATT-Kommission von 1987 (in „United States – Taxes on Petroleum and Certain Important Substances“), dass chemische Produkte grenzüberschreitend besteuert werden dürfen. Darüber hinaus ermöglicht Artikel XX des GATT-Abkommens zusätzliche Ausnahmen für Handelsbeschränkungen, die „nötig [sind], um Leben oder Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen zu schützen“ – und inzwischen gibt es eindeutige wissenschaftliche Belege dafür, dass Kohlenstoffsteuern diesem Kriterium entsprechen.

Und schließlich sorgen sich manche Kommentatoren, dass wichtige globale politische Entscheidungen innerhalb einer „liberalen internationalen Ordnung“ in erster Linie durch multilaterale Zusammenarbeit getroffen werden sollten. Dies mag durchaus stimmen. Tatsache ist aber, dass multilaterale Vereinbarungen nicht schnell genug getroffen werden können, um die Welt noch in der Nähe des 1,5°-Ziels des Pariser Klimaabkommens zu halten. Unser Vertrauen in den Multilateralismus darf kein Alibi für Untätigkeit werden. Umweltzölle könnten für die weltweite Klimapolitik einen positiven Dominoeffekt auslösen. Also sollten wir nicht zögern, sie einzuführen.

* Daron Acemoglu, Professor für Ökonomie am MIT, ist (gemeinsam mit James A. Robinson) Verfasser von „Why Nations Fail: The Origins of Power, Prosperity and Poverty“ (Profile, 2019) und „The Narrow Corridor: States, Societies, and the Fate of Liberty“ (Penguin, 2020).

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

Copyright: Project Syndicate, 2022. www.project-syndicate.org

Bruno
27. Juli 2022 - 18.03

Das Benzin muss teurer werden, so lange bis kein Stau mehr ist.

JJ
27. Juli 2022 - 9.14

Und da solche Beschlüsse immer einstimmig verabschiedet werden müssen,kommen wir zu spät. Wie die CO2-Emissionszertifikate. Der eine spart CO2 ein und verkauft die Zertifikate an einen anderen der dann gemütlich weiter produziert. Ein Kuhhandel und eine Mogelpackung. Wir haben den Wasserstoff vernachlässigt in den letzten 40 Jahren und AKW's wegen Schindluderei( Fuku und Tchernobyl ) verteufelt.Dafür laufen die Kohlewerke bis heute. FALSCH. Jetzt liegt die Rechnung im Kasten. Dafür braucht man kein Müsli zu sein um das zu verstehen.