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Standpunkt1. Mai 2022: „Vom Feiertag zurück zum Aktionstag“

Standpunkt / 1. Mai 2022: „Vom Feiertag zurück zum Aktionstag“
Nora Back spricht vor den versammelten Mitgliedern des OGBL vor dem Escher Rathaus am 1. Mai 2021 Foto: Editpress/Julien Garroy

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Die sanitäre Krise, die nicht gänzlich überstanden ist, sowie die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine bewirken, dass bei vielen keine echten Mai-Gefühle aufkommen werden. Beide Krisen haben die sozialen Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft noch verschärft. Deshalb ist es überaus wichtig, dass möglichst viele Gewerkschaftsmilitanten und -mitglieder sich an den diesjährigen Mai-Manifestationen der Gewerkschaften beteiligen.

Unsere Regierung gibt sich jede erdenkliche Mühe, um die schaffenden Menschen und die Pensionierten zur Kasse zu bitten, für Krisen, die andere verschuldet haben. Infolge der Finanzkrise schürte die damalige Regierung, die ähnlich wie die heutige zusammengesetzt war, ein Sparpaket, das sie als Zukunftspaket bezeichnete. Die Hauptlast der damaligen Sparmaßnahmen, die heute noch nachwirken, wurde auf völlig unsoziale Art allen Schichten der Bevölkerung aufgebürdet.

Infolge des Kaufkraftverlustes und einer Notsituation bei vielen aktiven und pensionierten Arbeitnehmern ersuchten die Gewerkschaften die Regierung, eine Tripartite einzuberufen, um dem Kaufkraftverlust und der sozialen Schieflage entgegenzuwirken. Doch anstatt ein Maßnahmenpaket vorzuschlagen, das der sozialen Schieflage entgegengewirkt hätte, beschloss die Regierung, auf Drängen des Patronats, eine weitgehende Indexmanipulation auf den Weg zu bringen. Das Verschieben um ein Jahr des Ausbezahlens der Indextranche, die im August fällig wird, soll durch das Solidaritätspaket kompensiert werden. Die in diesem Paket vorgesehenen Maßnahmen, die zum großen Teil von der schaffenden Bevölkerung und den Konsumenten über Steuern finanziert werden, hätte man ohne die damit verbundene Indexmanipulation als Ausgleich für den Kaufkraftverlust bei den unteren Einkommensklassen akzeptieren können. Sollte neben der Indextranche, die von diesem Jahr auf nächstes Jahr verschoben wird, 2023 eine weitere Tranche erfallen, soll diese erst 2024 ausbezahlt werden. Dies bedeutet, dass die jetzt beschlossene Indexmanipulation über diese Legislaturperiode hinausgeht und dass in Zukunft faktisch nur mehr 1 Indextranche pro Jahr ausbezahlt werden soll, ohne Berücksichtigung der Preisentwicklung. Dies ist völlig inakzeptabel!

Umverteilung von unten nach oben

Das Verschieben des Ausbezahlens der Indextranche ist ein weiteres Beispiel, wie der geschaffene Reichtum bei uns von unten nach oben umverteilt wird. Denn durch diese Verschiebung erhalten alle Betriebe hierzulande, ganz gleich, ob sie viel oder wenig Gewinn erzielen, ein zusätzliches finanzielles Geschenk in Form einer Lohnreduzierung. Dabei hatten verschiedene Mehrheitspolitiker vor einiger Zeit eine Corona-Steuer gefordert, um den zusätzlichen Gewinn, den verschiedene Betriebe während der sanitären Krise erzielt haben, abzuschöpfen. Diese Betriebe müssen nun keine zusätzlichen Steuern abführen, sie erhalten darüber hinaus die Möglichkeit, ihren Gewinn infolge einer realen Lohnreduktion weiter zu steigern.

Ein zentrales Element des Regierungsprogramms, der aktuellen Regierungskoalition, sollte eine umfassende und sozial gerechte Steuerreform darstellen. Mit dem Argument der sanitären Krise, die den Staat viel Geld gekostet hätte, wurde diese Reform auf Sankt Nimmerleinstag verschoben. Dabei hätte eine sozial gerechte Steuerreform ohne eine größere Belastung des Staatshaushaltes realisiert werden können. Durch eine höhere steuerliche Belastung der hohen Einkünfte, der Kapitaleinkünfte und von hohen Betriebsgewinnen hätten die unteren und mittleren Einkommensbezieher entlastet werden können. Auch eine ohne großangelegte Steuerreform hätte man zumindest erwarten können, dass die Steuertabelle an den Index angepasst würde und dass die sozial ungerechte Einklassierungen, u.a. von Alleinerziehenden, in die Steuerklasse 1A korrigiert würde. Doch all dies hätte eine gewisse Umverteilung von oben nach unten bedeutet, was offensichtlich den liberalen Prinzipien der aktuellen Regierung widerspricht.

Die richtigen Lehren aus den Krisen ziehen

Von der Solidarität, die in Krisenzeiten immer wieder von den Regierenden beschworen wurde, und von den diesbezüglichen Lehren, die man aus den Krisen ziehen müsste, ist nicht viel übriggeblieben. Die jetzigen und zurückliegenden Krisen haben gezeigt, dass gute und umfassende soziale und öffentliche Dienstleistungen unentbehrlich sind. Vor allem das Personal des Gesundheits- und Pflegesektors hat während der sanitären Krise überdurchschnittlich viel geleistet. Dem Applaus, der ihm deshalb zuteilwurde, müssten endlich Taten folgen. Die Gesundheitskrise hat lediglich die Mängel, die in diesem Sektor vorherrschen, offensichtlicher werden lassen. Die zeitweilige Schließung der Entbindungsstation im Krankenhaus in Ettelbrück wegen Personalmangel bestätigt dies. Um den Gesundheits- und Pflegesektor krisenfester zu machen, müsste verstärkt auf allen Ebenen der Gesundheitsberufe rekrutiert werden und die diesbezüglichen Berufe mussten aufgewertet werden. Weiterhin muss in diesem Bereich allen zusätzlichen Privatisierungstendenzen ein Riegel vorgeschoben werden.

Am diesjährigen 1. Mai sollten wir unser derzeitiges Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das eine Krise nach der anderen verursacht und die sozialen Ungleichheiten immer weiter ansteigen lässt, grundsätzlich infrage stellen. Die Regierenden tun dies nicht. Sie möchten vielmehr die Gewinne der Kapitalbesitzer und Spekulanten absichern. Deshalb müssen wir sie an diesem 1. Mai mit unseren legitimen Forderungen konfrontieren.


* Der Autor ist ehemaliger Präsident des FNCTTFEL-Landesverbands