Tageblatt: Christine Majerus, viele Radsportlerinnen und Radsport bekommen Gänsehaut, wenn sie wissen, dass bald die Flandern-Rundfahrt ansteht. Wie ist das bei Ihnen?
Christine Majerus: Es ist ein ganz besonderes Rennen, das ist ganz klar. Es ist historisch, auch für den Frauen-Radsport. Es ist einer der ersten großen Klassiker, die wir fahren durften. Seit Anfang meiner Karriere ist es deswegen auch das größte Rennen im Kalender. Das ist dieses Jahr nicht anders.
Vor allem in Belgien gilt das Rennen als Mega-Event. In diesem Jahr fährt die belgische Landesmeisterin Lotte Kopecky in Ihrem Team.
Das ist eine ganz besondere Herausforderung, die auf unser Team wartet. Die Mannschaft bekommt mehr Aufmerksamkeit. Ganz Belgien hat große Erwartungen an sie – ähnlich wie es Wout Van Aert bei den Männern ergeht. Es ist schon cool, das alles mitzuerleben.
Ist der Druck im Team damit höher?
Bei mir persönlich zumindest nicht. Bei Lotte aber ja, ganz klar. Sie hat mit Strade Bianche in diesem Jahr schon ein großes Rennen gewonnen. Ich möchte momentan nicht ihrer Haut stecken. Aber sie meistert das alles schon ganz gut. Ich hoffe, dass sie den Erwartungen gerecht werden kann. Für das Team, aber auch für sie selbst. Ihr größtes Ziel in diesem Jahr ist die Ronde.
Das bedeutet: Alle Karten auf Kopecky?
Nein, das wäre ein Fehler. Wir haben viele starke Fahrerinnen, da wäre es falsch, uns auf einen Namen zu limitieren. Wir haben viele Möglichkeiten, das Rennen auf verschiedene Arten und Weisen zu gestalten. Demi Vollering kommt aus einem Höhentrainingslager, sie ist lange kein Rennen mehr gefahren. Da muss man schauen, wie sie sich an den Rennrhythmus gewöhnen kann. Mit Chantal van den Broek-Blaak haben wir die Siegerin von 2020, auf Marleen Reusser ist verlass, dass sie ein gutes Rennen fährt und Elena Cecchini hat viel Erfahrung. Das tut der Mannschaft gut. Dazu kommt noch meine Persönlichkeit. Wir haben viele Karten in der Hand – aber das müssen wir besser umsetzen als bei Gent-Wevelgem in der letzten Woche. Wir haben ein gutes und aktives Rennen gemacht, aber am Ende sind wir ohne Resultat heimgefahren.
Welche Rolle nehmen Sie am Sonntag im Team ein?
Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, was meine Rolle sein wird. Bei der Tour des Flandres muss ich immer vermehrt fürs Team arbeiten, was okay ist. Vielleicht kann ich in diesem Jahr ein bisschen weniger offensiv in den ersten zwei Stunden fahren, um meine Kräfte zu sparen. Mein achter Platz 2021 zeigt, dass es ein Rennen ist, das mir liegt. Es gibt kurze, aber schwierige Anstiege und es wird ein langer und anstrengender Tag. Das liegt mir. Es ist aber auf der anderen Seite ein Rennen, das ich nicht so gerne mag. Die letzten Jahre musste ich immer bereits von Anfang an viel Arbeit verrichten. Am Ende habe ich mich persönlich dann unter Wert verkauft. Das war frustrierend. Außer, wenn die Mannschaft ein gutes Ergebnis einfuhr. Deswegen habe ich ein gespaltenes Gefühl für das Rennen. Aber das ist so, wenn man in einem der besten Teams in der Welt fährt.
Bei Gent-Wevelgem und auch bei Brugge-De Panne haben Sie viel gearbeitet. Die Form scheint gut zu sein.
Ich bin nicht in Topform. Aber wenn ich die Rennen sehe, dann stelle ich fest, dass ich dennoch gut unterwegs bin und Rennen gestalten kann. Ich weiß nicht, warum ich nicht in Topform bin – es ist einfach ein Gefühl, das ich habe. Als ich Drentse Acht van Westerveld am 11. März gewann, habe ich mich im Vergleich zu anderen überlegen gefühlt. Das ist nicht oft der Fall. An so einem Tag kann man sagen, dass die Form stimmt. Aber bei Gent-Wevelgem in der vergangenen Woche fühlte ich mich nicht so gut. Da fehlte die Spritzigkeit, um auch mal zu attackieren. Deswegen fühle ich mich nicht bei 100 Prozent, es ist mein Gefühl.
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