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Retro 2021Großbritannien hat Besseres verdient: Boris Johnson muss sein Regierungshandeln radikal ändern

Retro 2021 / Großbritannien hat Besseres verdient: Boris Johnson muss sein Regierungshandeln radikal ändern
Boris Johnson im Unterhaus: „Die Party ist vorbei“ Foto: various sources/AFP

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Für Boris Johnson ist der Medienkonsum derzeit keine besondere Freude. Entweder berichten die Londoner Blätter und TV-Stationen von den neuesten Corona-Maßnahmenverletzungen durch Beamte und Minister seiner Regierung im Dezember vergangenen Jahres. Oder sie greifen Skandale jüngeren Datums auf, die auf eine zunehmend selbstgefällige Administration des konservativen Premierministers schließen lassen. Oder sie stellen in alarmierenden Worten die Corona-Lage auf der Insel dar, die durch die rasende Ausbreitung der Omikron-Variante entstanden ist.

Zu allem Überfluss veröffentlichte am zweiten Weihnachtstag die Sunday Times eine umfangreiche Umfrage, die einen Trend der vergangenen Wochen bestätigt. Nach dem „furchtbaren Dezember“ haben die Wähler von den Torys, die seit fast zwölf Jahren das Land regieren, die Nase voll. Wären jetzt neue Wahlen, könnte sich die oppositionelle Labour-Party unter Keir Starmer auf eine absolute Mehrheit der Mandate im Unterhaus freuen. Zudem verlöre der Premierminister sein eigenes Mandat im Westen Londons – eine in der jüngeren politischen Geschichte Großbritanniens beispiellose Demütigung.

Kein Zweifel – für Johnson ist „die Party vorbei“, wie eine frisch gewählte Abgeordnete schon vor zehn Tagen postuliert hat. Da hatte die Liberaldemokratin Helen Morgan gerade einen sensationellen Sieg errungen, indem sie den Torys zum ersten Mal seit 1832 den Wahlkreis Nord-Shropshire abjagte. Auch wenn Nachwahlen zum Unterhaus stets ihre ganz eigenen Regeln haben – die Wählerschaft des tiefkonservativen Landstrichs hatte Johnson und seiner Regierung sozusagen die dunkelgelbe Karte gezeigt und damit für das ganze Land gesprochen: bis hierher und nicht weiter.

Für den 57-jährigen Einzelgänger rächt sich auch, dass er erfahrene Liberalkonservative in die Wüste geschickt und sich stattdessen mit ideologisch gestählten, aber zu ordentlicher Regierungsarbeit unfähigen Dilettanten und Pfuschern umgeben hat.

Zweieinhalb Jahre lang haben die Briten dem lümmel- und lügenhaften Bewohner der Downing Street fast alles verziehen, so wie die Londoner bei ihrem damaligen Bürgermeister Johnson immer wieder ein Auge zudrückten. So sei Boris nun mal, erzählten Menschen bis weit ins linksliberale Milieu damals. Und hoben eine für Politiker seltene, auf der Insel besonders willkommene Fähigkeit des blonden Wuschelkopfes hervor: „Er bringt uns zum Lachen.“ 2019 wurde Johnson gewählt, weil er die Durchsetzung des EU-Austritts versprach. Auch in der Pandemie scharten sich viele Bürger instinktiv um den Regierungschef.

Aus, vorbei. Neuerdings schauen die Briten genauer hin. Was sie sehen, gefällt ihnen nicht: von den notorischen Lockdown-Verletzungen des Premiers und seiner engsten Berater über die höchst dubiose Vergabe von Millionen-Aufträgen bis hin zu den immer schmerzhafteren Brexit-Folgen. Für den 57-jährigen Einzelgänger rächt sich auch, dass er erfahrene Liberalkonservative in die Wüste geschickt und sich stattdessen mit ideologisch gestählten, aber zu ordentlicher Regierungsarbeit unfähigen Dilettanten und Pfuschern umgeben hat.

Bis zur nächsten Wahl dürften gut zwei Jahre vergehen. Der Premierminister hätte also reichlich Zeit, seine Regierung neu aufzustellen und kompetente Arbeit abzuliefern, wie sie die Briten zurecht von ihrem Regierungschef erwarten. Wenn Johnson diese Kehrtwende nicht gelingt, sollten ihn die bekanntermaßen unsentimentalen Konservativen im neuen Jahr stürzen – Großbritannien hat wirklich Besseres verdient.