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Tour de FranceErnährungswissenschaftlerin Scheirlynck: „Ich muss Fahrer bitten, Schokolade und Pommes zu essen“

Tour de France / Ernährungswissenschaftlerin Scheirlynck: „Ich muss Fahrer bitten, Schokolade und Pommes zu essen“
Ein Regenerations-Shake nach dem Etappensieg: Nils Politt vom Team Bora-hansgrohe Foto: Christopje Ena/AFP

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Die Tour de France ist vor allem auch eine Kalorien-Schlacht. Durchschnittlich verbrennen die Profis an einem normalen Tag zwischen 7.000 und 8.000 Kalorien, die aber wieder aufgenommen werden müssen, um kein Gewicht zu verlieren. Stephanie Scheirlynck ist Ernährungsberaterin und hilft den Fahrern von Trek-Segafredo dabei, die Ernährung perfekt einzustellen. In den letzten Jahren hat sich das Thema Nahrung stark weiterentwickelt – manche Fahrer gehen sogar so weit, dass die Belgierin sie zwingen muss, auch mal Schokolade oder Pommes zu essen. 

Es ist kein Geheimnis, dass bei der Tour de France alles abgestimmt sein muss, um erfolgreich zu sein: Das richtige Material des Rads, die richtige Matratze zum Schlafen, aber vor allem muss auch die Ernährung stimmen. Der letzte Bereich hat sich in den vergangenen Jahren stark weiterentwickelt und hat immer mehr an Relevanz gewonnen. Das war nicht immer so.

1998 verlor Jan Ullrich die Tour am Galibier wegen eines Hungerastes. 2013 brach Christopher Froome an der Alpe d’Huez ein, weil er zu wenig gegessen hatten. Diese Fehler werden immer seltener – weil mittlerweile jedes WorldTour-Team die Hilfe von Ernährungsberatern und -wissenschaftlern annimmt. 

Zur Person: Stephanie Scheirlynck

Etwas enttäuscht war Stephanie Scheirlynck, als sie 2006 ihren Abschluss als Ernährungsberaterin machte. „Viele meinten, dass Ernährung nicht so wichtig sei“, sagt Scheirlynck. „Es hat lange gedauert, bis ich in die Welt des Profisports eintreten konnte.“ 2009 begann sie, für die belgische Mannschaft Silence-Lotto zu arbeiten. Die Belgierin machte in diesen Jahren auch erste Erfahrungen im Fußball. Aktuell arbeitet sie bei Trek-Segafredo, was sie selbst als „Hauptprojekt“ bezeichnet. Neben ihrem Engagement bei der US-amerikanischen Radsport-Mannschaft arbeitet sie auch für den belgischen Fußball-Rekordmeister RSC Anderlecht. Zudem ist die 36-Jährige für das belgische Olympiateam tätig – zur Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Tokio arbeitet sie unter anderem mit Schwimmern, Marathonläufern oder Kajakfahrern zusammen. „Ein bisschen von allem“, schmunzelt Scheirlynck. 

Ein Profi bei der Tour verbrennt durchschnittlich 1.000 Kilokalorien in einer Stunde. Zählt man das Auf- und Abwärmen sowie den Grundumsatz hinzu, müssten die Profis in der Regel zwischen 7.000 und 8.000 Kilokalorien zu sich nehmen, um ihr Gewicht zu halten – täglich. Die Ernährung der Fahrer wird dabei auch an die Etappen angepasst. Steht eine schwierige Etappe an, beginnen die Profis bereits am Abend zuvor damit, mehr Kohlenhydrate zu essen, um genügend Energie zu haben. Etwa drei Stunden vor dem Start gibt es eine Mischung verschiedener Kohlenhydrate. Da können dann unter anderem auch Reispudding, Pfannkuchen oder Bananen auf dem Speiseplan stehen. „Während einer Etappe nehmen die Fahrer dann meistens Gel zu sich, weil das am einfachsten ist und viel Energie liefert“, sagt Stephanie Scheirlynck, die als Ernährungsberaterin bei Trek-Segafredo tätig ist. Nach der Etappe gibt es wieder genügend Kohlenhydrate in Form von Nudelsalat oder Reis. 

Scheirlynck war bereits einige Tage vor dem „Grand départ“ in Brest. Für sie ging es darum, die logistische Arbeit zu verrichten. Darunter gehört unter anderem, zu schauen, ob genügend Nahrung vorhanden ist. Die Profis kamen in diesem Jahr am Mittwoch vor dem Start der Tour de France an. Für sie blieb dann genügend Zeit, die bevorstehenden Strecken und ihre dazugehörigen Mahlzeiten zu planen. „Wenn ein Wochenende sehr anspruchsvoll ist, dann gibt es viele Snacks wie Riegel, Nüsse, Trockenfrüchte. Abends gibt es dann meistens viel Reis“, sagt die Ernährungsberaterin. „Die Fahrer bereiten wir aber insgesamt schon Wochen vorher auf die Tour vor, sodass sie an sich schon bereit sind und ein passendes Gewicht haben. Normalerweise kommt jeder in einem optimalen Zustand hierher.“

Rechenspiele

Gemeinsam mit dem Team passt Scheirlynck die Ernährung aber nicht nur an die Schwierigkeit der Etappe an, sondern auch an die Wetterbedingungen. „Da das Wetter auf den ersten Etappen nicht besonders gut war, mussten wir zum Beispiel bei der Planung der Getränke reagieren. Wenn es regnet und kalt ist, benötigen die Fahrer mehr Energie. Sie essen dann meist nicht so viel. Dann ist es immer gut, wenn ich da bin, weil sich jemand darum kümmern muss, und es ist meine Verantwortung, das zu tun.“

Bei Trek-Segafredo gehen die Profis jedoch unterschiedlich mit dem Essen um. Laut Scheirlynck berechnen manche Fahrer ganz genau ihr Essen, andere stresse es, ständig Rechenspiele zum Essen zu betreiben. „Manche Fahrer möchten alles berechnet haben und die richtige Qualität an Essen bekommen. Manche Fahrer essen vom Buffet, aber andere planen ganz genau, was sie wann essen möchten.“ Dafür hat das Team zwei eigene Köche. „Sie wechseln sich ab, weil beide ihre eigenen Kochstile haben und die Fahrer dann Abwechslung haben“, sagt Scheirlynck. Anders als andere Mannschaften hat Trek-Segafredo keinen eigenen Food-Truck. Bei anderen Teams fährt dieser Truck immer die Etappen mit und platziert sich vor den Hotels. Bei Trek hingegen kochen die Teamköche mit den Köchen der Hotels. „Das haben unsere Köche lieber. Weil sie andere Küchen sehen, sie unterstützt werden und auch nicht zu viel säubern müssen. Das wäre sonst zu anstrengend. Was man dazu sagen sollte, ist, dass die Köche lediglich die Fahrer bekochen – nicht aber das restliche Team.“

Seit 2009 arbeitet Scheirlynck mit Profi-Radsportlern zusammen. Seitdem habe sich das Thema Ernährung sehr entwickelt. „Inzwischen haben manche Teams sogar zehn Berater und einige Köche. Es ist so, als wäre es von 0 auf 100 hochgefahren. Inzwischen muss ich sogar manche Fahrer bremsen, da sie sich zu sehr in das Thema Ernährung reinsteigern.“ Die Belgierin berichtet von Fahrern, die zu weit gehen. „Ich muss sie bitten, Schokolade und Pommes zu essen. Beim persönlichen Gewicht und Körperfettanteil gibt es immer ein Minimum, unter das kein Fahrer gelangen sollte. Geht man zu weit, lässt auch der Erfolg nach. Die Ernährung spielt auch im Hinblick auf Regeneration, Energiereserven und Training eine große Rolle. Früher musste ich die Leute davon überzeugen, ihre Ernährung zu ändern. Inzwischen muss ich sie oft dran erinnern, sich nicht verrückt damit zu machen.“ 

Stephanie Scheirlynck, Ernährungswissenschaftlerin
Stephanie Scheirlynck, Ernährungswissenschaftlerin Foto: Privat

Speiseplan

Zum Frühstück (mindestens drei Stunden vor dem Start der Etappe): Omelett, Trockenfrüchte, Nüsse, Müsli, Brot, Smoothies, Kaffee, Obst, Wasser, Nudeln, Basmatireis
Vor der Etappe: Energieriegel, Kaffee, Energieriegel, 
Während der Etappe: Isotonische Getränke, Gels, Energieriegel, Reiskuchen, Sandwiches (nur am Anfang der Etappe) 
Sofort nach der Etappe im Teambus: Regenerations-Shakes, Nudeln, Nudelsalat, Kartoffeln oder Reis mit selbst gemachtem Pesto oder Gemüsesoße, Früchte, Sandwiches
Abendessen: Warme Gemüsesuppe, danach Nudeln, Reis oder Polenta, anschließend als Hauptgericht Fisch oder Bio-Fleisch (kein Schweinefleisch, da es zu viele Giftstoffe speichert) mit Kartoffeln, Gemüse und Salat in pürierter Form, Wasser
Foodroom (falls Radsportler noch Hunger verspüren): Trockenfrüchte, Nüsse, Müsli, Hafermilch, Energieriegel, Reiswaffeln
Verboten: Fast Food, Süßigkeiten (außer selbst gemachter Kuchen), Alkohol (außer ein Glas Sekt oder Wein bei einem Etappensieg)